Beiträge vom 15. Juni 2010

Rammstein philosophisch betrachtet

Dienstag, 15. Juni 2010 15:04

Wer sich zu seiner Liebe zum Brachial-Rock von Rammstein bekennt, weiss um die verständnislosen oder gar unfreundlichen Reaktionen auf diese Offenbarung. Die Hälfte der Gesprächspartner erschrickt. Die Andere rümpft die Nase. Man sieht es den Gesichtern förmlich an. «Nazi, oder wie? Aggro, oder was?»

Fürchtet euch nicht

Wie will man darauf auch antworten? Was kann man darauf erwidern? Ich gebe zu, bis vor kurzem hatte auch ich nichts zum Verständnis vor- und beizutragen. Wie auch? Bei den hartnäckigen Vorurteilen, die in den vergangenen Jahren zwar ein bisschen abgeschwächt wurden, aber nach wie vor in vielen Köpfen herumgeistern.

Doch dank eines Buches des bekannten Professors für Philosophie und Kulturkritikers Slavoj Žižek lässt es sich nun wenigstens ein bisschen argumentieren. Die folgenden Gedanken aus dem Buch «Auf verlorenem Posten» möchte ich Rammstein-Fans zur rein physischen Begründung für ihr Interesse an dieser Art Musik als Argumentarium an die Hand geben.

Slavoj Žižek in «Auf verlorenem Posten»

«Genau so geht die Gruppe Rammstein mit totalitärer Ideologie um: Sie entsemantisiert sie und bringt ihr obszönes Gebrabbel in seiner penetranten Körperlichkeit zum Vorschein. Um diese vorsemantische Funktionsweise des Zeichens zu benennen, prägte Lacan den Neologismus „Sinthom„: ein signifizierender Knoten, in dem sich eine minimale libidinöse Besetzung verdichtet. So ist es kein Wunder, dass die dröhnende und laute Musik von Rammstein aggressiv, körperlich, brachial und aufdringlich klingt – ihre Körperlichkeit steht in ständiger Spannung zu ihrer Bedeutung und unterminiert diese.

Man sollte daher, anders als Susan Sontag, der Versuchung widerstehen, Rammsteins Musik und ihre ausgiebige Verwendung „nazistischer“ Bilder und Motive unter Ideologieverdacht zu stellen – Rammstein tut genau das Gegenteil: Indem sie den Hörer zur direkten Identifikation mit den von den Nazis verwendeten „Sinthomen“ zwingt, dabei aber deren Anbiederung an die Naziideologie umgeht, lässt sie genau dort eine Lücke spürbar werden, wo die Ideologie die Illusion einer nahtlosen organischen Einheit verordnet. Kurz, Rammstein befreit diese „Sinthome“ von ihrer nazistischen Artikulation, damit man sie in ihrem vorideologischen Status als „Knoten“ libidinöser Besetzung geniessen kann. Wenn demnach einige Linksliberale beim Anblick eines Rammstein-Videos, in dem eine Blondine im Käfig, nordische Krieger in dunklen Uniformen und dergleichen zu sehen sind, befürchten, dass die ungebildete Öffentlichkeit die Ironie dabei (wenn es sie denn überhaupt gibt) nicht verstehen und sich direkt mit der dargestellten protofaschistischen Stimmung identifizieren, sollte man ihnen das gute alte Motto entgegenhalten: Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst. Rammstein unterläuft die totalitaristische Ideologie nicht durch ironische Distanz gegenüber den Ritualen, die sie imitieren, sondern dadurch, dass sie uns direkt mit deren öbszöner Körperlichkeit konfrontiert und so ihre Wirksamkeit aufhebt. Also fürchtet euch nicht, geniesst Rammstein!»

Auszug aus dem Buch «Auf verlorenem Posten», Seite 126/127. Mit freundlicher Genehmigung des Autoren Slavoj Žižek und dem Suhrkamp Verlag Berlin. Alle Rechte vorbehalten durch den Suhrkamp Verlag.

Ich schliesse mich dem widerspruchslos an: Geniesst Rammstein. Am besten gleich. Und nicht zu leise.

Wer sich danach noch ein bisschen mit zeitgenössischer Philosophie auseinandersetzen möchte, kann dies in einem der vielen spannenden Bücher von Slavoj Žižek.

Mein Buchtipp: «Auf verlorenem Posten» von Slavoj Žižek.

ISBN 978-3-518-12562-5

Viel Spass beim lesen. Und rocken.

Thema: Buchtipps, Gesellschaft, Kunst | Kommentare (0) | Autor: