Wo immer man im Moment etwas zum Konflikt um Israel und Palästina liest: Früher oder später fallen drei Begriffe. Manchmal bunt gemischt hintereinander. Oft alle gleichberechtigt nebeneinander. Manchmal zu recht. Oft auch nicht.
anti-israelisch. anti-jüdisch. anti-semitisch.
Ein Grund für die unterschiedlichen Begriffsverwendungen […]
Ausschnitt aus einer dem ehemaligen Australischen Premiers John Howard zugeschriebenen Rede. Gefunden bei xing.ch, wo man sich einen solchen Politiker auch für die Schweiz wünscht.
Dank der Libyen-Affäre und dem armseligen Hickhack in Bundesbern hatten wir für eine Weile wohltuende Ruhe vor der Minarett-Debatte. Doch seit vorgestern Mittwoch ist es auch schon wieder vorbei mit dem religiösen Frieden.
Strassburg, die Demokratie und der Glaube
Seit der Europarat in Strassburg die Schweiz auffordert, das Bauverbot für Minarette aufzuheben, ist in Helvetistan von neuem die christlich-direktdemokratische Hölle los. Kaum ausgesprochen, melden sich einige überpatriotische Schweizer polternd zu Wort. Und werfen munter alles, was irgendwie nach undemokratischem Europa und diktatorischer EU klingt in einen grossen, blubbernden Topf.
Respekt an dieser Stelle übrigens für Daniel Caduff unbekannterweise, der im 20Minuten-Forum alles gibt, Sinn, Zweck und Möglichkeiten des Europarates zu erklären.
Neben dem EU-Bashing, ist in verschiedenen Foren aber vor allem wieder die Religion und ihre Symbole das beherrschende Thema, das neu aufgerollt werden will. Beziehungsweise, wie das Fondue von gestern, aufgewärmt. Man streitet zäh über den fremden Glauben und argumentiert «Wir haben demokratisch abgestimmt, basta» mit der eigenen direkten Demokratie. Zwei Wertesysteme, die sich übrigens ähnlicher sind, als man auf den ersten Blick denken würde.
Man braucht kein Minarett für den Glauben
Tatsächlich haben das religiöse und das gesellschaftliche Selbstverständnis bei näherer Betrachtung einige Gemeinsamkeiten. Eines davon liegt in der reinen Kraft der Symbolik eines unbedingten Rechtes.
Viele Minarettgegner begründen Ihr Stimmverhalten damit, dass selbst viele Muslime nicht unbedingt auf den Bau eines Minaretts bestehen. Und sie fragen: «Wenn die meisten sowieso kein Minarett bauen wollen, warum sollten wir es dann nicht verbieten dürfen?». Man könnte natürlich genauso gut die Gegenfrage stellen: «Wie viel Sinn hat ein Verbot, wenn die Mehrheit sowieso nicht bauen will?». Wie auch immer die Frage formuliert wird, die Schlussfolgerung, dass ein Verbot aus genanntem Grund nichts schadet, ist einmal mehr zu wenig weit gedacht.
Zwischen dem Recht auf Ausübung und der Ausübung dieses Rechtes gibt es einen wichtigen Unterschied.
Fragt man Muslime, finden diese das Fehlen eines Minaretts tatsächlich meist weniger schlimm, als es in einigen Medien dargestellt wird. Wäre dem nicht so, hätten wir schon vor der Abstimmung hunderte dieser Türmchen in unserem Land stehen gehabt. Das heisst aber nicht, dass sie damit auch freiwillig auf das Recht für den Bau eines Minaretts verzichten wollen.
Ein Widerspruch? Im Gegenteil.
Man braucht keine Volksinitiative für eine direkte Demokratie
Wagen wir doch einmal einen kurzen, vergleichenden Blick auf unser demokratisches Selbstverständnis. Was macht für uns eine richtige Demokratie aus? Was unterscheidet diese von den anderen rund um uns herum? Und warum erscheint sie uns so überlegen und schützenswert?
Was für eine Frage, werden Sie sagen. Zunächst einmal sind wir freie, mündige Bürger. Wir entscheiden, was in unserem Land zu geschehen hat und was nicht. Wir bestimmen dank Wahl- und Stimmrecht den Weg unseres Landes. Jeder einzelne mit seiner Stimme. Ausserdem können wir selber eine Veränderung anstossen, indem wir eine Volksinitiative starten. Das kann sonst keiner. Wir haben die beste, weil direkte Demokratie. Das unterscheidet uns von anderen demokratischen Staaten.
Eine kurze Zwischenfrage: «Werden Sie denn auch jemals selber eine Volksinitiative lancieren? Nein? Dann stimmen Sie mir sicher zu, dass man diese ohne weiteres abschaffen könnte, wenn die Mehrheit sowieso…» Auch nein? Hhhmmm.
Die meisten von uns werden ihr ganzes Leben lang keine eigene Volksinitiative lancieren. Trotzdem gehört für uns das Recht darauf untrennbar zu unserer Vorstellung der besten aller besten Staatsformen. Allein die Möglichkeit aktiv mitzuwirken gibt uns das Gefühl, ein Teil des Ganzen zu sein. Würde man uns dieses Recht nehmen, wäre unsere Demokratie nicht mehr das, was sie ausmacht. Wir würden bei einem drohenden Verbot oder der Abschaffung zu Recht auf die Barrikaden steigen.
Ein glücklicher Mensch…
Wir sind nicht bereit, freiwillig auf unser – für die meisten rein symbolisches – Recht auf eine Volksinitiative zu verzichten. Genau so, wie ein Muslim nicht auf sein – für die meisten rein symbolisches – Recht auf ein Minarett verzichten möchte.
Geben wir doch den Gläubigen das symbolische, da theoretische, Recht auf ihr Minarett zurück. Und das praktische und konkrete überlassen wir im Einzelfall wie früher wieder den betroffenen Gemeinden. Hat doch bisher gut geklappt und allen war damit gedient. Inklusive dem religiösen Frieden in unserem kleinen Land. Denn ein ein zufriedener Mensch ist ein glücklicher Mensch ist ein friedlicher Mensch.
Haben Sie sich heute schon von aktuellen und möglichen zukünftigen Aussagen politisch oder auf andere Art aktiver Extremisten distanziert? Nicht nur öffentlich und persönlich, sondern auch stellvertretend für Ihr näheres Umfeld?
Es gibt immer einen Grund zur Entschuldigung
Sie müssen weder Extremist noch Mitglied einer rechten oder linken Partei sein. Es reicht, wenn Sie etwas konservativ sind. Oder einen Marx im Bücherregal stehen haben. Dann sollten Sie sich zu jeder öffentlichen Äusserung von links oder rechts sofort erklären. Vielleicht auch stellvertretend für Ihre Generation. Auf jeden Fall aber, wenn Sie christliche Werte hochhalten. Oder einmal an einem ersten Mai an einer friedlichen Demo teilnahmen. Und sicherheitshalber, falls Sie einem Turnverein oder Schrebergärtnerverein aktiv sind. Sicher ist sicher.
Würden wir uns für alles verantwortlich fühlen, was auch nur entfernt mit uns und unserem Umfeld in Verbindung gebracht werden könnte, hätten wir bald nichts anderes mehr zu tun, als uns zu erklären. Für Dinge, die mit unserem Leben und unserer Einstellung direkt nichts zu tun haben.
Und doch erwarten und fordern wir dieses Verhalten zunehmend von Muslimen, Arabern und Migranten aus sogenannten Islamischen Ländern. Weil ein Konvertit sich zum Sprachrohr der Muslime ernennt und gerne öffentlich seine persönliche Meinung vertritt. Selbst ein weltoffener Zeitgenosse fragte kürzlich: «Warum distanzieren die sich nicht einfach?»
Mit ein Grund für diese stetige Forderung nach Erklärung und Distanzierung ist auch die mediale Berichterstattung.
Drei von fünf Freitagspredigten für heikel befunden
Wenn Unverständnis und Schuldzuweisungen das kulturelle Klima vergiften, ist jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema, die zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen und Religionen in unserem Land beiträgt, begrüssenswert. Doch allzu oft lässt es die Berichterstattung an Ausgewogenheit fehlen.
So berichtete das Schweizer Fernsehen Anfang April 2010 in der Tageschau über einige ausgewählte Prediger und präsentierte lieber einige schwarze Schafe, anstatt ein ausgewogenes Bild der religiösen Gemeinschaften aufzuzeigen. Dies zeigt schon die Wahl des Titels «Drei von fünf Freitagspredigten heikel» während man dann im Bericht bei genauerem hinhören erfährt, dass von den 200 Moscheen in der Schweiz gezielt die fünf einschlägig bekannten für eine Übersetzung des Freitagsgebets ausgesucht wurden. Von dieser ausgesuchten Auswahl wurden dann drei Predigten als heikel bezeichnet. Was dann richtig formuliert «Drei von 200 Freitagspredigten heikel» lauten müsste. Aber «drei von fünf» klingt besser. Und wie so oft verleiten solche Zahlen – ob gewollt, oder nicht – zu Missverständnissen. In diesem Fall zur Annahme, dass 3/5 aller Freitagspredigten, anders gesagt über die Hälfte, oder in Zahlen 120 von 200, zu beanstanden seien.
Dass von dieser Auswahl dann die offenbar schlimmsten Ausschnitte der Predigten wie die Aussage, «Wenn du deine Blicke [vor der Entblössung] nicht senkst, wirst du zum Anhänger von Satan» als ideologisch heikel eingestuft wurden, würde ich sehr wohlwollend formuliert als eher einseitig bezeichnen. Zumal man den Zusammenhang zwischen «Fleischeslust» und «Versündigen» auch im christlichen Glauben kennt. Aber achten Sie einfach selber im Bericht unvoreingenommen auf den Wortlaut und ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse zu der Gefährlichkeit des Inhaltes.
Wenn das die gefährlichsten Aussagen waren, können wir wohl wieder ruhig schlafen.
Die Basis für den Tagesschaubericht und viele undifferenzierte öffentlichen Bezugnahmen in den folgenden Wochen liefert übrigens die DOK-Sendung «Hinter dem Schleier» von Karin Bauer. Leider hat sie es in den drei Monaten Recherche nicht geschafft, auch nur im Ansatz zwischen Religion, Ideologie, Kultur, Ethnie und Nationalität zu unterscheiden. Man beachte die Vermischung, beziehungsweise Gegenüberstellung, von Religion/Ideologie und Nationalität, die sich durch die ganze Sendung zieht. Auf der einen Seite die Bösen, oft konvertierte Radikale, auf der anderen Seite die Guten, in diesem Fall junge Türken, die ihre Religion etwa so ernsthaft praktizieren, wie der durchschnittliche Schweizer sein Leben nach der Bibel ausrichtet.
Wer also muss sich hier in der Schweiz von extremistischen Fundamentalisten distanzieren? Araber? Wenn ja, welcher Nationalität? Oder Muslime? Falls ja, welcher religiösen Strömung? Oder alle Konvertiten? Auch hier: welcher religiösen Richtung? Und wie sieht es mit atheistischen Muslimen aus? Auch das gibt es.
Pflicht zur Entschuldigung für alle oder niemanden
Wenn wir von jedem Moslem ernsthaft für jedes Fehlverhalten einer kleinen Gruppe eine persönliche Distanzierung oder Entschuldigung einfordern, um die Guten von den Bösen unterscheiden zu können, sollten auch wir damit beginnen, uns zu erklären.
Entschuldigen wir uns zunächst öffentlich – und zwar jeder einzeln an einer Demo, im Fernsehen, in der Zeitung und im Internet – bei den Aids-Waisen in Afrika für die Päpste und anderen Kirchenvertreter für ihre Haltung zu Kondomen und Verhütung trotz Aids/HIV. Distanzieren wir uns danach von Freikirchlern, die öffentlich zum gemeinsamen Gebet für die «Genesung» von Homosexuellen aufrufen. Und weil wir gerade dabei sind, entschuldigen wir uns auch gleich noch für unsere Politiker von links bis rechts, die zur eigenen Profilierung jeden Andersdenkenden verunglimpfen, beschimpfen und die Schweiz im Ausland in ein schlechtes Licht bringen.
Oder wir hören einfach damit auf, ganze Bevölkerungsgruppen für die Aussagen einzelner verantwortlich zu machen. Denn wie so oft ist die Welt nicht so einfach, wie wir das gerne hätten.
Wer etwas entspannter mit dem fremden Glauben umgehen will, kommt nicht darum herum, sich ein bisschen mit der Geschichte der Religionen zu beschäftigen.
Mein Buchtipp für alle, die sich einen Überblick über die Entwicklung der Religionen und das Zusammenspiel von Religion, Ideologie, Kultur, Ethnie und Nationalität verschaffen wollen: «Heilige Einfalt – Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen» von Olivier Roy. Klingt reisserischer als es ist. Aber auch einfacher, als man es sich manchmal wünschen würde. Brummender Kopf garantiert.
Das menschliche Gehirn scheint es sich manchmal ziemlich einfach zu machen. Hat es komplizierte Sachverhalte zu verarbeiten, werden verwandte Begriffe oder ganze Themenkomplexe in eine grosse Schublade zusammengepackt. Super Sache, wenn man sich schnell an das Gelernte erinnern muss. Aber auch anfällig für logische Fehler, wenn’s mehr als reine Repetition sein soll.
Schnell wird aus «70 Prozent aller Straftäter in Gefängissen sind Ausländer.» der nicht ganz richtige Umkehrschluss «70 Prozent aller Ausländer sind Straftäter.»
Ein gutes Beispiel für derartige gedankliche Vereinfachung liefert SVP-Nationalrat Hans Fehr. Im Zürcher Unterländer vom 6. Mai 2010 fällt ihm zur Burka-Diskussion nur die einzige für ihn logische Verknüpfung «Burka – Selbstmordattentat» ein. Das klingt dann so: «Auch Terroristen könnten sich mit einer Burka tarnen». Weit gedacht, Herr Fehr.
Ein weiteres eindrückliches Beispiel war am 21. April 2010 auf 20min.ch zu beobachten. Der Luzerner FDP-Jungpolitiker Maurus Zeier soll (er hat das später relativiert) in einem öffentlichen Podium zum Thema Ausländerstimmrecht gerufen haben, «dass man dann genauso gut auch Tieren das Stimmrecht geben könne».
Interessant war aber nicht der Bericht, sondern die anschliessenden Forumsbeiträge. Viele Leser regten sich über die Empörung unter den anderen Podiumsteilnehmern auf. Aussagen wie «Interessant ist bloss, dass uns islamische Imame als Tiere beschimpfen dürfen» waren im Forum gut vertreten. Man erinnere sich: Es ging im Beitrag um Ausländer allgemein, nicht um Moslems. Trotzdem wurde der Begriff Ausländer im Zusammenhang mit Tieren sofort mit der Koran-Diskussion der vorangegangenen Wochen verknüpft und ohne weiteres nachdenken mit radikalen Predigern gleichgesetzt.
Gefährlich daran ist, dass man diese Fehlleistung des Gehirns für politische Zwecke missbrauchen kann. Man denke nur an George W. Bush, der «9/11 – El Kaida – Afghanistan – Irak» in öffentlichen Auftritten so lange in einem Atemzug nannte, bis jeder die Verknüpfung «9/11 – Irak» fest im Kopf verankert hatte. Der Weg für einen Angriffskrieg ohne nennenswerten Protest war geebnet. Ähnlich verhält es sich in der Schweizer Politik mit willentlichen Verknüpfungen von «Sozialhilfe» und «Schmarotzer» oder eben «Ausländer – Araber – Moslem – Terrorist»
Nehmen wir uns doch in Zukunft wieder die Zeit, erst über Worte nachzudenken, bevor wir sie verwenden oder ungeprüft einfach schlucken. Damit aus Ausländern wieder einfache Ausländer und aus Kleidung wieder einfache Kleidung wird.
Es hat zwar etwas länger gedauert, als gedacht, aber nun ist sie da: Die Burka-Diskussion. Und wie vermutet, liegen die Begründungen für ein Verbot wieder irgendwo zwischen den Extremen «Schutz unterdrückter Frauen» und – schon nach zwei Tagen Palaver wieder gehört – «Wäre alles kein Problem, wenn eine Burka nicht ein Zeichen der schleichenden Islamisierung wäre.»
Ich möchte mich hier losgelöst von der religiösen Frage auf zwei der zahlreichen kulturell zu beantwortenden Fragen beschränken. Fragen, die seit Jahren die Islam-Diskussion erhitzen, ohne eine sachliche Antwort zuzulassen.
«Warum wollen die sich nicht anpassen?» und «Weshalb sollten wir die Verhüllung bei uns akzeptieren, wenn wir uns in islamischen Ländern anpassen müssen?»
Ich weiss, dass viele Schweizer sich nicht mit fremden Kulturen und deren Befindlichkeiten auseinandersetzen wollen. Schliesslich sind ja nicht wir die Fremden. Deshalb präsentiere ich hier ein kleines Gedankenspiel, welches sich an unserer heimischen, christlich geprägten Vorstellung von Sittlichkeit orientiert.
Stellen wir uns also folgendes vor
Wir leben in einem Kulturkreis mit der uns bekannten Kleiderordnung. Nennen wir uns daher der Einfachheit halber «Kleiderländer». In einer anderen Ecke unseres Planeten lebt ein Volk von Nudisten. Nennen wir diese «Nacktländer». Was passiert, wenn diese beiden Völker aufeinandertreffen?
Begeben wir «Kleiderländer» uns zu den «Nacktländern», werden diese wohl von uns verlangen, uns unserer Kleider zu entledigen. Unsere Erziehung und Schamgefühl lassen dies aber nicht so ohne weiteres zu. Zu tief hat uns unsere christliche Kultur geprägt. Vielleicht wären wir bereit, uns maximal bis auf eine Badehose oder einen Bikini auszuziehen. Das wäre aus unserer «Kleiderländer»-Sicht nur zu verständlich. Diese Weigerung hätte kaum einen religiösen Hintergrund. Geschweige denn, dass wir das fremde Land dadurch «Kleidungisieren» wollten. Es ist einfach unsere Kultur. Unsere Erziehung.
Und wie würde es im umgekehrten Fall aussehen? Stellen wir uns vor, die «Nacktländer» würden ganz selbstverständlich hüllenlos durch unsere Städte und Einkaufszentren spazieren. Wie schnell wäre wohl die Polizei da? Erregung öffentlichen Ärgernisses. Sofort anziehen oder mitkommen. Nicht weil wir die andersartigen «Nacktländer» hassten. Einfach nur, weil unser kulturelles Selbstverständnis das Nacktsein in der Öffentlichkeit verbietet. Schliesslich gehört sich das bei uns einfach nicht.
Ich glaube, dieses Beispiel kann man problemlos in die reale Welt übertragen. Um eine zusätzliche Kleiderschicht verschoben, werden aus «Nacktländern», «Kleiderländer» – also wir – und aus den «Kleiderländern» werden «Kopftuchländer». Oder anders gesagt, Menschen Islamischer Herkunft.
Wenn wir das Verschleierungs-Thema erst einmal aus dieser Sicht betrachten, können wir vielleicht auch wieder sachlich diskutieren. Und mit den religiösen Aspekten von Burka, Niqab, Hijab etc befassen wir uns dann gesondert.
Es ist wieder etwas Ruhe eingekehrt, nach der „Volksinitiative Gegen den Bau von Minaretten“. Endlich. Das lässt hoffen, dass man bald wieder etwas sachlicher über das Thema Islam – und die damit verbundenen Ängste in der Bevölkerung – sprechen kann.
Etwas weniger ideologisch. Und ein bisschen weniger emotional als in der heissen Phase vor der Abstimmung. Standardspruch der Minarett-Gegner damals: «Ich habe den Koran gelesen» und «Da wird überall zum Morden von Ungläubigen aufgerufen!» Was will man gegen diese tiefen Einsichten einwenden?
Ich will jetzt einfach mal glauben, dass offenbar mehr Schweizer den Koran gelesen und verstanden haben, als die Bibel. Wobei mir das mit dem glauben ans Verstehen etwas schwerfällt. Nur schon, weil jede Übersetzung so ihre Tücken hat. (Machen Sie den Test und geben Sie einen beliebigen Arabischen Text an fünf verschiedene Übersetzer. Die Chancen stehen gut, dass da nicht unbedingt fünf übereinstimmende Sätze wieder zurück kommen.)
Aber das Verständnis der Worte ist sowieso zweitrangig. Selbst wenn der Koran gelesen und verstanden wurde, hat man damit noch nichts gewonnen. Wichtiger für die Einschätzung der angeblichen Bedrohung „durch den Islamismus“, ist, wie das Gelesene ausgelegt wird. Und zwar in erster Linie von den Muslimen. Schliesslich ist es ja diese angeblich homogene Islamo-Masse, die uns auf verschiedene Arten schaden wolle.
Aber gibt es „DEN Islam“ wirklich? Und „DEN Moslem“? Alles Hafächäs würde mein alter Freund zu recht sagen. Sonst würde es nicht diese äusserst verwirrende Zahl an Glaubensrichtungen geben. Man lese: Umma, Sunniten, Schiiten, Fünfer-Schiiten, Siebener-Schiiten, Zwölfer-Schiiten, Wahabiten, SalafitenSufi, Fatimiden, Zaiditen, Umayyaden, Abbasiden, Alewiten. Alles klar?
Nur schon diese Aufzählung zeigt, dass kein Weg daran vorbei führt, sich für eine neue, sachliche Diskussion ein Mindestmass an Kenntnis anzueignen.
Und wer die aktuelle Bedrohung unserer Demokratie ganz einfach „irgendwo dort im Osten“ vermutet, sollte erklären können, was Afghanistan, Irak, Saudi Arabien, Iran, Pakistan, Syrien, Jordanien, Jemen und Libanon verbindet. Beziehungsweise, worin sie sich unterscheiden. Und wer dann plötzlich Lust auf Geschichte, Geografie und Religionsgeschichte bekommen hat, kann sich nur so zum Spass noch mit dem Maghreb, Maschrek und der Levante auseinandersetzen.
Wie schon die unzähligen Links in diesem Text zeigen, ist das alles etwas kompliziert. Und natürlich kann man nicht alles über die verschiedene Strömungen des Islam, die Geschichte der unterschiedlichen Völker und Clans, Parteien und politischen Ideologien wissen. Ich gebe gerne zu, dass auch ich mit jedem neuen Buch aufs neue verwirrt werde. Aber wer nicht einfach schwatzen will, damit geschwatzt ist, sollte sich über den Islam informieren.
Es gibt unzählige Bücher zu diesen Themen. Mein Buchtipp für eine gut verständliche und sachliche Einführung: „Die unbekannte Mitte der Welt – Globalgeschichte aus islamischer Sicht.“ von Tamim Ansary.