Beitrags-Archiv für die Kategory 'Buchtipps'

Weisheiten – Über den Wirtschaftskreislauf

Dienstag, 6. September 2011 14:19

«Das Gegenteil von Konsum ist nicht Sparsamkeit, sondern Grosszügigkeit.»

Raj Patel in seinem Buch «Was kostet die Welt?»

Buchtipp:

«The Value of Nothing – Was Kostet die Welt?» von Raj Patel
ISBN: 978-3-570-50124-5

Thema: Buchtipps, Gesellschaft, Weisheiten, Wirtschaft | Kommentare (0) | Autor:

Herr Gentinetta und die Mobilitätskosten-Halbwahrheit

Freitag, 22. Juli 2011 7:59

Mobilität ist super. Aber im Fall des Individualverkehrs zu teuer. Findet der Vorsitzende der Geschäftsleitung von economiesuisse, Herr Dr. Pascal Gentinetta. Denn die Mobilitätskosten scheinen ihm einseitig und ungerecht verteilt.

Das Verursacherprinzip

Am 7.7.2011 meldet sich Herr Gentinetta deshalb unter der Schlagzeile «Bahnausbau: Der Nutzer muss zahlen» in einem leider nicht kommentierbaren Kommentar (Deshalb die Antwort an dieser Stelle) zu Wort. Der Bahnausbau dürfe nicht «über neue Steuern und über die Quersubventionierung durch den Strassenverkehr» finanziert werden. Denn:

«Die Finanzierungslösung ist der Bahnnutzer. Die überfüllten Züge beweisen täglich, dass eine echte Nachfrage besteht. Vor allem aber zeigen sie auf, dass die aktuellen Tarife auf vielen dicht befahrenen Strecken viel zu niedrig sind. Heute entfernen sich die Abonnementspreise im Personenverkehr immer weiter von den tatsächlichen Kosten. Diese ökonomisch unsinnige versteckte Subventionspolitik über den Preis setzt auch raumplanerisch falsche Anreize und darf nicht weiterverfolgt werden. Es ist stattdessen das Verursacherprinzip wieder deutlich zu stärken: Wer die Bahn benutzt, soll mehr als bisher dafür bezahlen. Insbesondere, wer zu Stosszeiten häufiger fährt, muss entsprechend stärker zur Kasse gebeten werden. Was im Flugverkehr schon lange gang und gäbe ist, könnte auch für den Bahnverkehr zum Erfolgsmodell werden.» (Hervorhebung durch mich)

Die Forderung, das Verursacherprinzip zu stärken, ist durchaus vertretbar. Aber nur, wenn man sämtliche anfallenden Kosten mit einbezieht. Dazu gleich mehr.

Die Kostenwahrheit

Will man einen fairen Vergleich der Verkehrskosten von Bahn- und Strassenverkehr anstellen, kommt man um einen wichtigen Faktor nicht herum: die Externen Kosten.

«Unter externen Verkehrskosten versteht man» laut dem Bundesamt für Raumentwicklung ARE «diejenigen Kosten, welche durch die Mobilitätsteilnehmenden verursacht, jedoch nicht von ihnen selber getragen werden. Die wichtigsten Bereiche sind Unfälle, Lärm, Gesundheit, Klima sowie Natur und Landschaft.»

Vergessen wir also für einen Moment den Vergleich zwischen Billettpreisen und Benzinkosten und schauen uns die Externen Kosten in der Schweiz anhand der Zahlen des Jahres 2005 an.

Gerundete Zahlen. Entnommen bfs.admin. Quelle: „Externe Kosten des Verkehrs in der Schweiz, Aufdatierung für das Jahr 2005 mit Bandbreiten“, Bundesamt für Raumentwicklung (ARE). Stand: Dezember 2009.

Noch einmal gut lesbar die Externen Kosten für das Jahr 2005

  • Schienenverkehr 455 Millionen Franken
  • Strassenverkehr 8 Milliarden (!) Franken

Die Realität

95 Prozent der Externen Kosten werden also durch den  Strassenverkehr verursacht. Nur 5 Prozent entfallen auf den Schienenverkehr. Ähnlich verhält es sich in den Jahren 2006 und 2007, wie man dem PDF Externe Kosten 2006 – 2007 des Bundesamtes für Raumentwicklung ARE entnehmen kann. Kosten, die wir alle bezahlen. Auch diejenigen, die aus Überzeugung auf Fortbewegungsmittel verzichten, die nur 1/100 der Primärenergie in Bewegung umsetzen*, während der überwiegende Teil ungenutzt für immer verpufft.

Natürlich kann man diese Zahlen – wie alle anderen Zahlen auch – auf verschiedenste Art interpretieren und gewichten. Aber gänzlich verschweigen und ignorieren sollte man sie nicht.

Die Forderung

Kommen wir nun also auf das Argument Verursacherprinzip zurück und fordern von den Verursachern (wie von economiesuisse angeregt) die Übernahme der tatsächlichen Kosten. Nein? Zugegeben, auch wenn die Deckung sämtlicher Kosten durch die Verkehrsteilnehmenden wünschenswert ist, so wäre es im Moment doch etwas viel verlangt.

Aber mit diesen eindeutigen Zahlen vor Augen können wir vielleicht wenigstens damit aufhören, möglichst alle Kosten vom Autofahrer fernhalten zu wollen.

Was meinen Sie, Herr Gentinetta?

* Marcel Hänggi rechnet in seinem Buch vor (Stark von mir gekürzt): Unter Alltagsbedingung setzt ein Verbrennungsmotor nur 20 Prozent der im Kraftstoff enthaltenen Primärenergie in Bewegung um. Bei einem Auto von 1,5 Tonnen mit einem 75 Kilogramm schweren Fahrer am Steuer dienen 19/20 der Bewegungsenergie dazu, das Fahrzeug zu bewegen. Nur 1/20 – also 1 Prozent der Primärenergie – dient der Fortbewegung des Fahrers.

Buchtipp zum Thema Energieverbrauch und die Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft:

«Ausgepowert – Das Ende des Ölzeitalters als Chance»
Marcel Hänggi
ISBN: 978-3-85869-446-1


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Thema: Buchtipps, Gesellschaft, Politik, Schweiz, Wirtschaft | Kommentare (0) | Autor:

Mehr Flüchtlinge – Mehr Gewalt

Donnerstag, 3. März 2011 16:52

Am 2.3.2011 orakelt der Online-Tagesanzeiger in fetter Überschrift:

Decken Sie sich also sicherheitshalber umgehend mit Notvorrat für mehrere Jahre ein, verstecken Sie Ihr Geld unter der Matratze, holen Sie die Kinder rein und verrammeln Sie sämtliche Fenster und Türen.

Kausalität scheint schneller als man denkt

Bevor Sie jedoch die Selbstschussanlage in Betrieb nehmen, wollen wir gemeinsam kurz den erklärenden Text unter der Schlagzeile untersuchen und uns ein eigenes Urteil statt eines möglichen Vorurteils bilden. Sicher ist sicher. Vielleicht ist es ja doch nicht ganz so schlimm. Hören wir genau hin:

«Laut Killias [Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Zürich] hat Zürich eine ähnliche Erfahrung Ende der 90er-Jahre gemacht, als Tausende von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz kamen. Damals stiegen vor allem die Gewaltdelikte an. Zeigen lässt sich das an der Gewaltstudie der Suva, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt. Zwischen 1997 und 2005 verdreifachten sich <Unfälle> durch Gewalteinwirkung wie Rauferei, Streit, Überfall und kriminelle Handlungen bei jungen Männern.»

Wir kombinieren Haarscharf:

Mehr Flüchtlinge => Mehr Gewaltdelikte

Spätestens jetzt – nachdem wir die offensichtlichste kausale Verknüpfung gemeinsam hergestellt haben – rennt der mehrheitskompatible Leser auf schnellstem Holzweg zu seiner Hochsicherheitswohnung. Er hat es geahnt. Wenn nicht gar gewusst.

Klingt ja auch alles ganz plausibel und wird offenbar von einem Professor bestätigt. Aber werden hier tatsächlich Ursache und Wirkung abgebildet?

Nein. Zumindest nicht unbedingt. Die Aussagen «…stiegen vor allem die Gewaltdelikte…» und «…verdreifachten sich <Unfälle> durch Gewalteinwirkung…» benennen keine konkrete Täterschaft und lassen keinen zwingenden Schluss wie den oben gezogenen zu. Alles was man aus diesem Abschnitt ableiten kann – sofern die herangezogenen Statistiken stimmen – lautet: In den 90er-Jahren gab es mehr kriminelle Handlungen UND es kamen mehr Flüchtlinge. Das kann, muss aber keinesfalls bedeuten: In den 90er-Jahren gab es mehr kriminelle Handlungen WEIL mehr Flüchtlinge kamen.

Niemand würde ähnlich schnelle Rückschlüsse ziehen, wenn in einer anderen (hypothetischen) Statistik stünde, dass sich in den 90er-Jahren (parallel zu mehr Flüchtlingen) beispielsweise der Umsatz der Schweizer Juweliere verdoppelt hat. Oder die Gletscher in dieser Zeit überdurchschnittlich stark schmolzen.

Drum prüfe, wer was komisch findet

Ohne Angabe der genauen statistischen Quellen* ist es für den Leser unmöglich, sich ein unvoreingenommenes Urteil zu bilden. Trotzdem haben wir schon nach einem kurzen Blick auf den Text eine vermeintlich durch Fakten untermauerte Einsicht gewonnen. «Flüchtling» und «Kriminalität» scheinen einfach zu verlockend logisch zusammen zu hängen.

Die Meinung ist gemacht und schon wird fleissig mit möglicherweise verzerrten bis falschen Fakten Argumentiert, bis die Verknüpfung sich auch im letzten Kopf festgesetzt hat. Die Konsequenz für die Flüchtlinge aus Nordafrika kann man ausformuliert im oben verlinkten Forum des Tagi-Beitrages nachlesen: Nordafrika > Ausländer > junge Männer > alles Betrüger > Gewalt > Schweiz > Grenzen dicht > ist nicht mein Problem.

Genau deshalb sollten wir bei behaupteten oder angedeuteten kausalen Zusammenhängen immer besonders genau hinschauen und die Aussagen auf ihre Plausibilität prüfen. Meist ergibt sich beim zweiten Blick ein anderes Bild, als das zunächst offensichtlich scheinende.

Bringen Sie also die Kinder wieder raus und sehen Sie der möglichen Ankunft von Flüchtlingen gelassen entgegen.

Nicht alle Verzerrungen und Verwischungen sind so offensichtlich, wie in diesem Beispiel. Manche scheinen auch nach dem zweiten Blick noch logisch. Falls Sie sich für die vielfältigen Möglichkeiten der Manipulation interessieren, mein Buchtipp für einen unterhaltsamen Einstieg in die Welt der Statistik:

«Lügen mit Zahlen – Wie wir mit Statistiken manipuliert werden»
Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff
ISBN: 978-3-453-17391-0

* Die genauen Statistiken wurden trotz zweifacher Nachfrage im Tagesanzeiger-Forum nicht genannt. Die Frage wurde Ignoriert und im Forum nicht publiziert.

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Thema: Buchtipps, Fragen, Schweiz | Kommentare (2) | Autor:

Ihr Buchtipp

Sonntag, 27. Februar 2011 9:50

Haben Sie hier unter «Buchtipps» etwas spannendes entdeckt? Ja? Super. Nein? Schade. Aber bleiben Sie doch trotzdem noch einen Augenblick hier.

Vielleicht können Sie ja anderen Bücherwürmern einen interessanten Tipp geben. Solchen, denen es ähnlich geht, wie dem Schreibenden.

Man steht in einem seiner Lieblingsbuchläden – nicht dem ersten an diesem Tag –  vor einem riesigen Regal und denkt: Was soll es denn heute sein?

Philosophie, Psychologie, Verhaltensökonomie, Hirnforschung, Neuromarketing, Kultur, Religion, Politik, Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft, Zeitgeschehen, Internet, Informationsgesellschaft, Statistik, Wahrscheinlichkeit und Zufall? Oder zur Abwechslung mal was ganz anderes? Nur was?

Und hier kommen Sie ins Spiel.

Egal, ob Sie die Interessen des Autors teilen oder nicht. Teilen Sie uns doch den Titel Ihres absoluten Lieblingsbuches mit. Ganz einfach via Kommentar-Formular. Am besten mit ISBN und Begründung. Um unser Spektrum zu erweitern, die Suchzeit zu verkürzen und ärgerliche Fehlgriffe zu minimieren.

Danke für die Tipps. Und wie immer, viel Spass beim Lesen.

Thema: Buchtipps | Kommentare (2) | Autor:

Alles was ein Leser braucht

Samstag, 26. Februar 2011 15:20

Zwei Fragen, die jeder Leser kennt:

  1. Wie / wo  mache ich es mir zum Lesen bequem?
  2. Wohin mit all den gelesenen Büchern?

Zwei Antworten, die Designer darauf geben, möchte der Autor hier heute kurz zeigen. Weil er findet, dass beide Konzepte durchaus etwas für sich haben. Und mich.

Bibliochaise von .nobody&co.

gefunden bei nobodyandco.it

Bücherliege von Stanislav Katz

gefunden bei freshome.com

Thema: Buchtipps, Kunst | Kommentare (0) | Autor:

Frontex – dein Beschützer und Helfer

Sonntag, 20. Februar 2011 12:00

Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex nimmt auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ihre Arbeit auf. Und die Schweiz steht den 50 Spezialisten – falls gewünscht – per sofort mit drei Mann zur Seite.

Das ist sehr lobenswert. Wir helfen unserem südlichen Nachbarland Italien, das gerade von Flüchtlingen überschwemmt wird. Und machen uns nach langer Zeit wieder Freunde in Europa. Während wir als Land der hohen moralischen und ethischen Standards wichtige Hilfe leisten.

Was will man mehr? Helfen ist gut. Und mit unserem Einsatz ist allen geholfen. Sollte man meinen. Aber wem wird da genau geholfen? Und was bedeutet «Helfen» in diesem Fall? Der von Frontex gewählte Name der Operation lässt viel Spielraum für persönliche Gedanken.

Operation Hermes

Drei mögliche Interpretationen:

  1. Hermes ist der Schutzgott des Verkehrs und der Reisenden. Schutz für die in überfüllten Fischerbooten reisenden Flüchtlinge. Ganz schön nett, freut sich der Romantiker.
  2. Hermes verkündet als Götterbote zudem die Beschlüsse des Zeus. Das gehört zu den Aufgaben einer Europäischen Organisation. Irgendjemand muss diesen Nordafrikanern ja sagen, was geht und was nicht. Vor allem, was nicht. Nämlich die Flucht aus dem Elend.
  3. Hermes führt aber auch – und hier wird’s ehrlich – die Seelen der Verstorbenen in den Hades (Unterwelt).

Zurück in die Wüste

Warum ehrlich, fragen Sie? Weil Europa schon vor Jahren Verträge über die Rückführung illegaler Einwanderer abgeschlossen hat. Mit Regierungen, die, wie beispielsweise Libyen, die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert haben. Und die – glaubt man verschiedenen Büchern – eigene und ganz pragmatische Vorstellungen von Rückführungen haben.

Zum Beispiel kann man die lästigen Flüchtlinge der Einfachheit halber einem gerade aus dem Süden angekommenen Schlepper übergeben. Die Vertragspartner müssen sich nicht weiter um die Heimreise kümmern. Der Schlepper hat keine unbezahlten Leerfahrten mehr. Und sollte er die Reisenden mitten in der Wüste zurück lassen, werden diese garantiert nicht schon nach kurzer Zeit wieder an der Grenze stehen. Es profitieren also alle. Sogar die Geier und andere hungrige Tiere in der Wüste.

Zynisch? Aber sowas von.

Wobei zu erwähnen bleibt, dass der Autor hier nur laut über eine mögliche Spielart der günstigen Asyl-Politik nachdenkt. Ausgedacht und umgesetzt wird das von anderen. Die sowas verhindern könnten. Wenn sie denn wollten.

Falls sie sich etwas tiefer mit dem Thema «Flüchtlinge» befassen wollen, finden Sie in den folgenden Büchern Einblicke aus verschiedenen Blickwinkeln:

«BILAL – Als Illegaler auf dem Weg nach Europa» von Fabrizio Gatti
ISBN: 978-3-888-97587-5

«Klimakriege – Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird» von Harald Welzer
ISBN: 978-3-596-17863-6


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Thema: Buchtipps, Gesellschaft, Mensch, Politik, Schweiz | Kommentare (0) | Autor:

Blogbeitrag / Datenauslagerung # 100

Freitag, 5. November 2010 18:49

Hui. Schon satte 99 Blogbeiträge / Datenpakete auf den Server hochgeschaufelt. Höchste Zeit, die Effizienz der privaten Datenauslagerung via Blog zu überprüfen. Und zu schauen, ob dadurch beim Autor wieder ein bisschen Platz für neuen Input geschaffen wurde.

Des Bloggers Hirn unter 4/4-getaktetem MRT-Gedröhne.

Tatsächlich. Das Daten-Outsourcing via FTP scheint zu funktionierten Die MRT-Aufzeichnung zeigt zwischen rot glühendem Gross- und Kleinhirn eine kleine formatierte Region in jungfräulichem Schwarz. Es gibt wieder freie Speicherkapazität, während der Zugriff auf das alte, ausgelagerte Wissen an jedem Ort mit Internetzugang jederzeit gewährleistet ist.

Auf ewig googlebar

Das freut den Autor. Irgendwie wenigstens. Denn die zunehmende Verfügbarkeit digitaler Erinnerungen könnte durchaus zu einem ernst zu nehmenden Problem werden. Nicht nur, weil wir durch die Digitalisierung unseres Wissens immer weniger Kontrolle über unsere persönlichen Daten haben, wie wir von Menschen, die bei der Arbeitssuche von ihrer digitalen Vergangenheit eingeholt werden, immer wieder lesen. Viel mehr, weil das Vergessen für unsere Zukunft von Vorteil, wenn nicht gar lebensnotwendig ist.

Das aber nur nebenbei erwähnt. Ist eine zu lange Geschichte für einen Blogbeitrag.

Dafür gibt es einen Buchtipp zu diesem aktuellen Thema: «Delete – Die Tugend des Vergessens in digitalen Zeiten» von Viktor Mayer-Schönberger.

ISBN 978-3-940432-90-2

Und schon wieder ein bisschen mehr Speicherplatz geschaffen.

Thema: Buchtipps, Digital, Gesellschaft, Mensch | Kommentare (0) | Autor:

Kognitive Fehlleistungen

Dienstag, 19. Oktober 2010 20:12

Es gibt Dinge, über die gescheite Menschen wie Sie und ich nicht lange nachzudenken brauchen. Zum Beispiel kinderleichte Aufgaben wie die folgende:

Ein Baseballschläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Euro.
Der Schläger kostet 1 Euro mehr als der Ball.
Wie viel kostet der Ball?

Kinderkram sagen Sie. Zu Recht. Wenn Sie nicht auf die falsche Lösung von 10 Cent gekommen sind. Falls doch, keine Sorge. Selbst die meisten Studenten an den Elite-Universitäten Princeton und Harvard kamen zum selben Resultat.

Ist doch immer wieder faszinierend, wie sich unser Hirn sofort auf die vermeintlich offensichtlichste Lösung stürzt. Eine menschliche Eigenschaft, die im Alltag – inklusive Wirtschaft – weitreichende Konsequenzen hat, da wir fest daran glauben, jedes Problem rational lösen zu können, wenn wir nur über alle benötigten Fakten verfügen. Was selten auch nur annähernd der Fall ist. Und dann scheitern wir an einer Aufgabe, die keinerlei Spielraum offen lässt…

Die Baseball-Denkaufgabe stammt übrigens von Daniel Kahneman, einem Wirtschafts-Nobelpreis-Träger, der die Frage als Einleitung seiner Nobelpreisrede stellte.

Falls Sie sich nach dieser eben gemachten Erfahrung zu Recht fragen, bei welchen täglichen Entscheidungen wir uns sonst noch so beeinflussen lassen, finden Sie unzählige Antworten in der Fachliteratur.

Mein Buchtipp für einen unterhaltsamen Einstieg in die Verhaltensökonomik mit vielen Studien und Experimenten: «Denken hilft zwar, nützt aber nichts – Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen» von Dan Ariely

ISBN: 978-3-426-78035-0

Ach ja, falls Sie bei der Rechenaufgabe noch nicht weitergekommen sind, beachten Sie unbedingt auch das «mehr» in der Aufgabe. Und lassen Sie sich nicht irritieren, wenn rechnerisch plötzlich ein zweiter Ball ins Spiel kommt.

Thema: Buchtipps, Mensch, Wirtschaft | Kommentare (2) | Autor:

Wieder Ratten bei der SVP

Samstag, 2. Oktober 2010 22:35

Die SVP hetzt wieder einmal in bewährter Manier mit Plakaten gegen Ausländer. Zur Abwechslung im Tessin. Ansonsten alles, wie seit Jahren gehabt: Ungeliebte Ausländer werden zu Ratten.

Da sich ausserhalb der SVP kritische Stimmen zu Wort melden, geht es auch wie gehabt, weiter: Hihi, haha. Alles nur ein Scherz. «Es fehlt dem Politestablishment einfach der Humor», wie Parteipräsident Pierre Rusconi laut 20min-online gesagt haben soll. Mit Rassismus und Xenophobie hat dies alles nichts zu tun.

Eine erfolgreich erprobte Manipulation

Der perfide Angriff scheint auch dieses mal seine Wirkung zu entfalten. Viele Kommentarschreiber in verschiedenen Foren finden: «Ist doch lustig. Was ist denn dabei?» Und gleich darauf entlarvend: «Ausserdem stimmt es ja». Ohne dabei selbst den Widerspruch zu erkennen. Einerseits ist alles nur ein Spässchen, andererseits aber ist es wahr. Alles Ratten.

Ein Wort gegen diese Hetze und das noch gefährlichere ins Lächerliche ziehen sei mir an dieser Stelle erlaubt. Genau dieses unüberlegt geäusserte «Ist doch nichts dabei» zeigt, dass die jahrelange Verwendung solcher Tier- und Hass-Plakate ihr Ziel schon erreicht hat. Die breite Öffentlichkeit stellt zwischen dem Hassobkjekt «Ratte» und den damit gemeinten Menschen keinen Zusammenhang mehr her.

Man wettert gegen ein Ekel erregendes Tier und hetzt damit – ohne weiter darüber nachzudenken – gegen sehr reale Menschen. Und die strategisch kluge Unterstellung fehlenden Humors erlaubt es, sich nicht mit den Auswirkungen der Hetze auseinanderzusetzen zu müssen.

Ein erster Schritt zur moralischen Abkoppelung

Wir alle durchlaufen durch unsere Erziehung einen Sozialisationsprozess, der uns Normen und moralische Leitlinien für unser soziales Verhalten vorgibt. Dieser erlernte Verhaltenskodex erlaubt uns eine friedliche Koexistenz mit Menschen aus anderen Kulturkreisen, mit anderer Sprache, anderem Aussehen und anderen Bräuchen. Die verbindende Basis dafür ist der kleinste gemeinsame Nenner. Wir alle sind menschliche Wesen.

Diese verinnerlichten Leitlinien bestimmen den respektvollen Umgang mit unseresgleichen. Selbst in kriegerischen Kampfhandlungen hindern diese die Soldaten daran, freiwillig auf den Feind zu schiessen und ihn zu töten. Deshalb muss im Vorfeld eines Krieges ein die Hemmungen ausschaltendes Feindbild aufgebaut werden. Am einfachsten, indem man den oben erwähnten gemeinsamen Nenner abbaut. Das funktioniert auch in der Politik und ist dort kein Mittel von links oder rechts, sondern von Extremisten aller Couleur.

Die Entmenschlichung ist eine erprobte und erfolgreiche psychologische Strategie um Menschen die moralische Abkoppelung von anderen Individuen zu erleichtern. Man erklärt den Feind zum Untermenschen, zum Tier, zur Krankheit. Auf diese Weise können menschliche Wesen ganz einfach als von der moralischen Kategorie des Menschseins ausgeschlossen betrachtet werden. Es kostet weniger Überwindung auf ein niederes Tier einzuschlagen, als auf seinesgleichen.

Ob bewusst oder unbewusst. Die Hemmschwelle sinkt.

Natürlich setzt sich nicht jeder Befürworter solcher politisch motivierter Hetze aktiv und bewusst für den Abbau aller für ein friedliches Zusammenleben unabdingbaren Hemmschwellen ein. Trotzdem geschieht durch die Akzeptanz und Verniedlichung der Propaganda genau dies. Das Bild von Unter- oder Unmenschen setzt sich in den Köpfen fest.

Das Resultat solcher Hass-Propaganda setzt – ob gewollt oder nicht – die Hemmschwelle Schritt für Schritt herunter. Und weil die Grenzen seit Jahren Stück um Stück hinausgeschoben werden, darf man solche Plakate nicht einfach schweigend hinnehmen. Das hat nichts mit fehlendem Humor zu tun.

Wohin soll das führen?

Klar wird der eine oder andere jetzt «linke Panikmache» rufen. In diesem Fall möchte ich nur eine Frage beantwortet haben: Wozu soll das ganze dann dienen? Keine Partei gibt Geld für ihre Propaganda aus, wenn sie nichts damit erreichen will. Und ein Lächeln über ein lustiges Plakat wird auch bei der tessiner SVP nicht das angestrebte Ziel der Propaganda sein.

Mein Buchtipp für alle, die sich mit Fragen wie «Was bewegt gute Menschen dazu, böses zu tun? Wie können normale Menschen dazu verleitet werden, unmoralisch zu handeln? Wo liegt die Grenze zwischen Gut und Böse, und wer läuft Gefahr, diese zu überschreiten?» auseinandersetzen wollen:

«Der Luzifer-Effekt – Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen» von Philip Zimbardo

ISBN 978-3-8274-1990-3


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Thema: Buchtipps, Gesellschaft, Mensch, Politik, Schweiz | Kommentare (0) | Autor:

Verrückte auf dem Podium

Samstag, 25. September 2010 23:11

«Pfui Teufel», sagte Labude, «unten Sadisten und oben Verrückte.» Es scheint, der Herr hat keine Freude an den beliebten Casting-Shows.

Auf der Bühne machte ein zwecklos vor sich hinlächelndes Mädchen Sprünge. Es handelte sich offenbar um eine Tänzerin. Sie trug ein giftgrünes selbstgeschneidertes Kleid, hielt eine Ranke künstlicher Blumen und warf sich und die Ranke in regelmässigen Zeitabständen in die Luft.

Das Publikum unterhielt sich laut und lachte. «Fräulein, Sie werden dringend am Telefon verlangt!» schrie ein glatzköpfiger Herr. Die anderen lachten noch mehr als vorher. Die Tänzerin liess sich nicht aus der Unruhe bringen und fuhr fort zu lächeln und zu springen.

Die Rhapsodie war zu Ende. Das Mädchen auf der Bühne hüpfte weiter, der Tanz war noch nicht aus. Schliesslich fand sie selber, es sei genug, landete in einem misslungenen Knicks, lächelte noch alberner als vorher und breitete die Arme aus.

Ein dicker Herr stand auf. «Gut, sehr gut! Sie können morgen zum Teppichklopfen kommen!» Das Publikum lärmte und klatschte. Das Mädchen knickste wieder und wieder. Da kam ein Mann aus der Kulisse, zog die Tänzerin, die sich heftig sträubte, von der Bühne und trat selber an die Rampe.

«War die Tanzdarbietung nicht geradezu ein Erlebnis? Aber es kommt noch besser. Jetzt schicke ich einen heraus der Paul Müller heisst. Er wird Ihnen eine Ballade vortragen.»

Aus dem Hintergrund nahte ein langaufgeschossener, ungewöhnlich blasser Mensch in abgerissener Kleidung. «Tag Müller!» brüllte man. Paul Müller verbeugte sich, zeigte herausfordernden Ernst im Gesicht, fuhr sich durch die Haare und presste dann die Hände vor die Augen. Er sammelte sich. Plötzlich zog er die Hände vom Gesicht fort, streckte sie weit von sich, spreizte die Finger, riss die Augen auf und sagte: «Die Todesfahrt – von Paul Müller»

In diesem Augenblick warf jemand aus dem Publikum ein Stück Würfelzucker auf die Bühne. Paul Müller bückte sich, steckte den Zucker ein und fuhr mit unheilvoller Stimme fort. Wieder warf jemand Zucker auf die Bühne. Andere Gäste folgten dem Beispiel, und allmählich kam ein Würfelzuckerbombardement zustande, dem Müller nur dadurch zu begegnen wusste, dass er sich dauernd bückte. Es entwickelte sich ein Balladenvortrag mit Kniebeugen. Auch mit aufgerissenem Mund versuchte Müller, den ihm zufliegenden Zucker aufzufangen. Heiterkeit im Publikum.

Sind solche Veranstaltungen eine typische Erscheinung unserer Zeit? Nicht ganz. Was Labude da erlebte, ist ein (von mir stark gekürzter) Ausschnitt aus der Geschichte des Moralisten Fabian aus dem gleichnamigen Roman von Erich Kästner. Aus dem Jahr 1931.

Man sieht, der Mensch hat sich in den letzten 80 Jahren nicht sonderlich weiterentwickelt. Nicht nur, was die Unterhaltung auf Kosten anderer betrifft.

Deshalb möchte ich heute ein Buch aus dem Antiquariat als Buchtipp anbringen. Ein Klassiker, mit Einblick in die Gesellschaft vor dem 2. Weltkrieg. Und zugleich ein Abbild unserer Zeit.

«Fabian – Die Geschichte eines Moralisten» von Erich Kästner

ISBN: 3-85535-909-1

Wie immer viel Spass beim Lesen.

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