Sonntag, 18. Juli 2010 14:36
Die Schweizer scheinen trotz Finanz- und Wirtschaftskrise ein grosses Herz und Geld für gute Taten übrig zu haben. Allein nach dem verheerenden Erdbeben auf Haiti 2010 hat die Bevölkerung 51,3 Mio. Franken für die Betroffenen gespendet. Ich bin sicher, viele der grosszügigen Spender würden sich auch ehrenamtlich für sinnvolle Projekte von Schweizer Hilfswerken einsetzen.
Die Idee eines «bezahlten Ehrenamtes»
Natürlich hat nicht jeder neben seinem Beruf die Zeit, sich längerfristig zu engagieren. Dies kann sich aber schlagartig ändern, wenn man die Arbeit verliert und es sich durch die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt abzeichnet, dass die Arbeitssuche etwas länger dauern könnte.
Warum in einer solchen Ausnahmezeit nicht die eigene Arbeitskraft für einen etwas tieferen Lohn zur Verfügung stellen und die Zeit mit einer Art sozialem Jahr überbrücken, statt beim Arbeitsamt anzuklopfen?
Ein geeignetes Einsatzgebiet zu finden sollte keine Schwierigkeiten bereiten. Die meisten der über 500 Hilfswerke mit ZEWO-Gütesiegel und unzählige weitere kleine gemeinnützige Vereine würden motivierte Mitarbeiter mit Handkuss nehmen. Tatkräftige Unterstützung ist immer gefragt. Und die möglichen Einsatzbereiche sind vielfältig:
Familie, Frauen, Kinder, Jugendliche, Senioren, Arbeitslosigkeit, Armut, Sozialprobleme, Sucht, Behinderung, Gesundheit, Krankheiten, Nothilfe, Humanitäre Hilfe, Katastrophenhilfe, Lebensrettung, Entwicklungszusammenarbeit, Flüchtlinge, Migration, Menschenrechte, Gefangenenfürsorge, Kultur, Bildung, Forschung, Technik, Ökologie, Umweltschutz, Sport, Freizeit.
Ein erster Versuchsballon
Im Jahr 2007, als gerade wieder über «faule Arbeitslose» und «integrationsunwillige Ausländer» hergezogen wurde, dachte ich zum ersten mal über diese Art einer Mischung aus Ehrenamt und bezahlter Arbeit nach. Für einen ersten Umsetzungsversuch sollten Erwerbslose die Möglichkeit erhalten, ihr berufliches Wissen und Talent in ein konkretes Integrationsprojekt für ausländische Mitbürger einzubringen. Ein Dienst an der Allgemeinheit bei gleichzeitigem Erwerb wertvoller Referenzen.
Blieb nur die Frage der Finanzierung. Wen könnte man um finanzielle Unterstützung bitten? Linke Gutmenschen? Rechte, die von Arbeitslosen mehr Einsatz, und von Ausländern Integration fordern? Liberale, die sich mit Investitionsfragen auskennen?
Die Wahl der politisch gut durchmischten Anfrage-Empfänger mit Vorbildfunktion lag auf der Hand: Unsere sieben Bundesräte. Also schrieb ich jeden einzelnen persönlich und als Privatperson folgendermassen (aus Datenschutzgründen gekürzt) an:
Sehr geehrte/r [Name Bundesrat]
Integration beginnt im Kleinen
Auch wenn die Politik sich um Lösungen im grossen Rahmen bemüht, findet die alltägliche Integration im Kleinen statt. Sei dies die Integration ausländischer Mitbürger in die Gesellschaft, oder die Eingliederung Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt.
Zum Beispiel hier
Ich bot den damaligen Bundesräten das oben erwähnte, in der Schweiz angesiedelte Projekt mit allen relevanten Informationen zur Unterstützung an. Das ganze beschränkt auf ein Hilfswerk, einen Kandidaten und ein Jahr.
Und das für wenig Geld
Ich bin überzeugt, die nachhaltige Integration von Erwerbslosen und Zugewanderten liegt Ihnen persönlich genauso am Herzen wie mir. Hier können Sie beides gleichzeitig mit relativ wenig Geld unterstützen.
Konkret für sage und schreibe insgesamt günstige 2.500 Franken Netto monatlich.
Und wenn Sie sich mit Ihren sechs Arbeitskollegen – die diesen Brief ebenfalls erhalten – zusammentun, wird es noch günstiger.
Für weitere Fragen stehe ich natürlich jederzeit zur Verfügung
Ich freue mich auf Ihre Antwort
und verbleibe bis dahin grüssend
Die Antworten. Man ahnt es…
Den Geschmack der Briefmarken noch auf der Zunge, erreichten mich auch schon die Antwortschreiben auf offiziellem Bundeshauspapier. Leider nicht wie gehofft von den Privatpersonen. Aber immerhin begründet.
«Ihrem Gesuch um Unterstützung können wir leider nicht entsprechen. Bundesrat Blocher erhält sehr viele derartige Anfragen, die wir aus Gründen der Gleichbehandlung alle ablehnen müssen.»
Livio Zanolari, Generalsekretariat EJPD (Blocher)
«Er [Leuenberger] bittet Sie um Verständnis dafür, dass er von einem finanziellen Beitrag an Ihr Projekt absehen möchte: Herr Leuenberger erhält Anfragen um Unterstützung in so grosser Zahl, dass er sein Engagement auf einige ausgewählte Institutionen beschränken muss.»
Francoise a Marca, Generalsekretariat GS-UVEK (Leuenberger)
«Im Auftrag der Informatuinschefinnen- (sic) und Informatrionschefs (sic) der sieben Departemente teile ich Ihnen mit, dass Ihre Bitte um finanzielle Unterstützung kein offenes Ohr gefunden hat.»
Hansruedi Moser, Sektion Information und Kommunikation, Bundeskanzlei
Ein Projekt, mehrere Gewinner
Natürlich finde ich die Projektidee trotz dieser nachvollziehbaren Absagen nach wie vor sinnvoll und umsetzungswürdig. Ein Grund, weshalb ich sie hier heute publiziere.
Zwar gibt es in der Schweiz unzählige Stiftungen, die auf Anfrage von Hilfswerken oder Privatpersonen einmalig Gelder sprechen. Einige davon vermitteln auch Arbeitslose im Rahmen eines sechsmonatigen Einsatzprogrammes an Nonprofitorganisationen. Letzteres allerdings ausschliesslich im Auftrag und auf Kosten von Arbeits- oder Sozialämtern, was mehrere Nachteile mit sich bringt.
Der Vermittelte bleibt weiterhin offiziell als arbeitslos gemeldet und die Taggelder werden voll angerechnet. Er muss sich im gleichen Umfang wie ohne Teilnahme an einem Einsatzprogramm um Arbeit bemühen. Ein bis zwei Tage in der Woche fehlt er am Arbeitsort, weil er Begleitkurse wie Bewerbungstraining oder Standortbestimmung besuchen muss. Findet er eine Stelle, muss er das Programm binnen Wochenfrist abbrechen. Zudem kostet der Einsatz die Arbeitslosenversicherung – beziehungsweise das Sozialamt und damit den Steuerzahler – eine ganze Stange Geld, weil neben dem versicherten Verdienst oder dem Existenzminimum auch die Kurse bezahlt werden müssen. Dies alles macht den Einsatz für eine eigentlich gute Sache teuer und ineffizient.
Besser als nichts, werden Sie vielleicht sagen. Aber warum soll man es nicht gleich gut machen?
Durch die direkte Unterstützung einer Person im Rahmen eines Projektjahres lassen sich gleich zwei (oder mehr) Fliegen mit einer Klappe schlagen. Hilfsorganisationen erhalten Zugang zu Mitarbeitern, die sich für ein Jahr voll auf ihre Aufgabe konzentrieren können. Es fallen keine Fehltage wegen Kursen oder Bewerbungsgesprächen an. Und es droht kein kurzfristiger Abbruch des Einsatzes.
Die Unterstützten ihrerseits können ein Jahr lang ohne Druck des Arbeitsamtes nach einer geeigneten Arbeit suchen. Sie entrichten weiterhin ihre Sozialabgaben und bleiben dadurch Arbeitslosenversichert. Zudem können sie sich wertvolle neue Fähigkeiten aneignen und Referenzen erarbeiten.
Natürlich kostet ein solches Projektjahr auch ein bisschen Geld. Aber in einem Land mit 185’300 Dollar-Millionären (Stand 2008) sollte sich dieses eigentlich auftreiben lassen.
Falls Sie, liebe Leserin und lieber Leser, sich für ein solches Projekt begeistern können, konkrete Vorschläge haben, oder sich sogar beteiligen wollen, freue ich mich über Ihre Wortmeldung. Egal ob als Privatperson, Stiftung – oder als Politiker.