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Arbeitsmarkt März 2011

Freitag, 8. April 2011 21:14

Wie immer Anfang Monat veröffentlicht das Staatssekretariat für Wirtschaft auch am 8. April 2011 die aktuellen Arbeitslosenzahlen. Und monatlich grüsst das Schwurbeltier, möchte man beim Überfliegen der Pressedokumentation des SECO sagen. Man trifft auf die üblichen für Fehlinterpretationen anfälligen statistischen Daten. Und kurz darauf auf die üblichen Schnellschüsse der Medien.

Der ewige Traum: weniger | gesunken | verringert

Nach einem ersten Blick in die 28-seitige Dokumentation scheint sich wie in den vergangenen Monaten alles in eine positive Richtung zu entwickeln.

«Gemäss den Erhebungen des SECO waren Ende März 2011 134.905 Arbeitslose bei den RAV eingeschrieben, 8.420 weniger als im Vormonat. Die Arbeitslosenquote sank damit von 3,6% im Februar 2011 auf 3,4% im Berichtsmonat. Gegenüber dem Vorjahresmonat verringerte sich die Arbeitslosigkeit um 31.127 Personen (-18,7%)», steht es trocken, sachlich-positiv formuliert, in der Pressedokumentation.

Die Wirtschaft brummt. Die Arbeitslosenquote sinkt weiter. Es scheint wirklich wieder bergauf zu gehen. Alles wird besser. Wenn nicht gar sehr viel besser.

Es sei denn, man bezieht wenigstens in diesem aussergewöhnlichen Monat für einmal die Ausgesteuerten in die Berechnung der Zahlen ein. Denn durch die ALV-Revision werden dieser Tage mehr Arbeitslose gleichzeitig ihren Anspruch auf Arbeitslosentaggelder verlieren, als jemals zuvor. «In der Tat dürften etwa 16.000 Personen von der Revision des Arbeitslosen-Versicherungs-Gesetzes betroffen sein. Das heisst, sie könnten am 1. April ihre Ansprüche verlieren», wie Serge Gaillard, Direktor für Arbeit SECO am 8. Februar 2011 in der Tagesschau noch ganz richtig zu sagen wusste.

Aber wie nicht anders zu erwarten, werden auch diese ca. 16.000 noch nicht in der Statistik erfassten Ausgesteuerten (dazu gleich mehr) auch in diesem Monat wieder als «Arbeitslose weniger» interpretiert. Ein Flüchtigkeitsfehler, den auch der eine oder andere Zeitungsmacher – mit teils absurden Schlussfolgerungen – schnellschreibend auf die Spitze treibt.

Die Mär vom Anreiz durch Druck

Unter der durchaus Blick-tauglichen Schlagzeile «Geldsorge schreckt Arbeitslose auf» unterstellt zum Beispiel Balz Bruppacher in seinem Beitrag im online 20 Minuten den Arbeitslosen in vollem Ernst: «Der Rückgang der Arbeitslosigkeit hat sich beschleunigt. Ein Grund: Die Betroffenen legten sich bei der Jobsuche rechtzeitig vor den Leistungskürzungen ins Zeug.» (Nebenbei bemerkt ein gutes Beispiel für die vorschnelle Knüpfung vermeintlicher Kausalketten.)

Worauf sich die Unterstellung stützt, bleibt verständlicherweise offen. Denn wie viele dieser Minus 8.420 Arbeitslosen in Tat und Wahrheit zu den im März ausgesteuerten gezählt werden müssen, weiss noch niemand. Diese Zahlen erfahren wir erst in der Pressedokumentation vom 8. Juni, da die in der Umfangreichen Pressedokumentation jeweils auf Seite 25 separat aufgelisteten Ausgesteuerten erst mit zwei Monaten Verzögerung veröffentlicht werden.

Eine weitere Fehlinterpretation

Ähnlich verhält es sich mit einer Gaillard’schen freestyle Interpretation weiterer statistischer Angaben in der SECO-Pressedokumentation.

Aus der sachlich korrekten Darstellung des Staatssekretariats für Wirtschaft «Die Jugendarbeitslosigkeit (15- bis 24-Jährige) verringerte sich um 1.955 Personen (-9,2%) auf 19.325. Im Vergleich zum Vorjahresmonat entspricht dies einem Rückgang um 7.427 Personen (-27,8%)», leitet dessen Direktor wieder einmal eine sehr einseitige und gewagte These ab.

Im gleichen 20 Minuten-Beitrag wie Balz Bruppacher wird Gaillard beim Wunschträumen folgendermassen zitiert: «Die am 1. April in Kraft getretenen Leistungskürzungen dürften im Februar und März den Druck auf die rund 16.000 Betroffenen erhöht haben, noch vor dem Verlust der Arbeitslosentaggelder eine Stelle zu finden. Dies spiegle sich vor allem im überdurchschnittlichen Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit.» (Noch ein gutes Beispiel für die vorschnelle Knüpfung vermeintlicher Kausalketten.)

Hören wir dazu noch einmal den gleichen Serge Gaillard in der Tagesschau vom 8. Februar 2011 zum Thema Aussteuerung nach der ALV-Revision: «Vielen sollte das [Stelle finden] gelingen, zumal etwa 30 bis 40 Prozent dieser [von der drohenden Aussteuerung] Betroffenen Jugendliche sind».

Ein Schelm, der beim Vergleich der Aussagen

  • a) besonders vielen Jugendlichen droht an Tag X die Aussteuerung und
  • b) überdurchschnittlicher Rückgang jugendlicher Arbeitsloser zum Tag X

eins und eins zusammenzählt und zu einem anderen Resultat als der Direktor für Arbeit kommt.

Wir werden uns die richtigen Zahlen wohl in zwei Monaten genauer anschauen müssen. Vielleicht liefern ja auch die Sozialämter demnächst für diesen einen Monat genauere Zahlen. Bis dahin gilt: Glaube keiner Statistik, die noch nicht veröffentlicht wurde.

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Thema: Arbeitsmarkt, Gesellschaft, Politik, Schweiz | Kommentare (0) | Autor:

Mehr Flüchtlinge – Mehr Gewalt

Donnerstag, 3. März 2011 16:52

Am 2.3.2011 orakelt der Online-Tagesanzeiger in fetter Überschrift:

Decken Sie sich also sicherheitshalber umgehend mit Notvorrat für mehrere Jahre ein, verstecken Sie Ihr Geld unter der Matratze, holen Sie die Kinder rein und verrammeln Sie sämtliche Fenster und Türen.

Kausalität scheint schneller als man denkt

Bevor Sie jedoch die Selbstschussanlage in Betrieb nehmen, wollen wir gemeinsam kurz den erklärenden Text unter der Schlagzeile untersuchen und uns ein eigenes Urteil statt eines möglichen Vorurteils bilden. Sicher ist sicher. Vielleicht ist es ja doch nicht ganz so schlimm. Hören wir genau hin:

«Laut Killias [Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Zürich] hat Zürich eine ähnliche Erfahrung Ende der 90er-Jahre gemacht, als Tausende von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz kamen. Damals stiegen vor allem die Gewaltdelikte an. Zeigen lässt sich das an der Gewaltstudie der Suva, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt. Zwischen 1997 und 2005 verdreifachten sich <Unfälle> durch Gewalteinwirkung wie Rauferei, Streit, Überfall und kriminelle Handlungen bei jungen Männern.»

Wir kombinieren Haarscharf:

Mehr Flüchtlinge => Mehr Gewaltdelikte

Spätestens jetzt – nachdem wir die offensichtlichste kausale Verknüpfung gemeinsam hergestellt haben – rennt der mehrheitskompatible Leser auf schnellstem Holzweg zu seiner Hochsicherheitswohnung. Er hat es geahnt. Wenn nicht gar gewusst.

Klingt ja auch alles ganz plausibel und wird offenbar von einem Professor bestätigt. Aber werden hier tatsächlich Ursache und Wirkung abgebildet?

Nein. Zumindest nicht unbedingt. Die Aussagen «…stiegen vor allem die Gewaltdelikte…» und «…verdreifachten sich <Unfälle> durch Gewalteinwirkung…» benennen keine konkrete Täterschaft und lassen keinen zwingenden Schluss wie den oben gezogenen zu. Alles was man aus diesem Abschnitt ableiten kann – sofern die herangezogenen Statistiken stimmen – lautet: In den 90er-Jahren gab es mehr kriminelle Handlungen UND es kamen mehr Flüchtlinge. Das kann, muss aber keinesfalls bedeuten: In den 90er-Jahren gab es mehr kriminelle Handlungen WEIL mehr Flüchtlinge kamen.

Niemand würde ähnlich schnelle Rückschlüsse ziehen, wenn in einer anderen (hypothetischen) Statistik stünde, dass sich in den 90er-Jahren (parallel zu mehr Flüchtlingen) beispielsweise der Umsatz der Schweizer Juweliere verdoppelt hat. Oder die Gletscher in dieser Zeit überdurchschnittlich stark schmolzen.

Drum prüfe, wer was komisch findet

Ohne Angabe der genauen statistischen Quellen* ist es für den Leser unmöglich, sich ein unvoreingenommenes Urteil zu bilden. Trotzdem haben wir schon nach einem kurzen Blick auf den Text eine vermeintlich durch Fakten untermauerte Einsicht gewonnen. «Flüchtling» und «Kriminalität» scheinen einfach zu verlockend logisch zusammen zu hängen.

Die Meinung ist gemacht und schon wird fleissig mit möglicherweise verzerrten bis falschen Fakten Argumentiert, bis die Verknüpfung sich auch im letzten Kopf festgesetzt hat. Die Konsequenz für die Flüchtlinge aus Nordafrika kann man ausformuliert im oben verlinkten Forum des Tagi-Beitrages nachlesen: Nordafrika > Ausländer > junge Männer > alles Betrüger > Gewalt > Schweiz > Grenzen dicht > ist nicht mein Problem.

Genau deshalb sollten wir bei behaupteten oder angedeuteten kausalen Zusammenhängen immer besonders genau hinschauen und die Aussagen auf ihre Plausibilität prüfen. Meist ergibt sich beim zweiten Blick ein anderes Bild, als das zunächst offensichtlich scheinende.

Bringen Sie also die Kinder wieder raus und sehen Sie der möglichen Ankunft von Flüchtlingen gelassen entgegen.

Nicht alle Verzerrungen und Verwischungen sind so offensichtlich, wie in diesem Beispiel. Manche scheinen auch nach dem zweiten Blick noch logisch. Falls Sie sich für die vielfältigen Möglichkeiten der Manipulation interessieren, mein Buchtipp für einen unterhaltsamen Einstieg in die Welt der Statistik:

«Lügen mit Zahlen – Wie wir mit Statistiken manipuliert werden»
Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff
ISBN: 978-3-453-17391-0

* Die genauen Statistiken wurden trotz zweifacher Nachfrage im Tagesanzeiger-Forum nicht genannt. Die Frage wurde Ignoriert und im Forum nicht publiziert.

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Thema: Buchtipps, Fragen, Schweiz | Kommentare (2) | Autor: