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Afghanistan 2011, ein gefährliches Experiment

Freitag, 9. Juli 2010 16:21

Bis im Sommer 2011 wollen die USA mit dem Abzug der Truppen aus Afghanistan beginnen. Auch der deutsche Aussenminister Westerwelle kündigt an, im kommenden Jahr mindestens eine Provinz an die einheimischen Sicherheitskräfte übergeben zu wollen. Dies sollte uns eigentlich alle freuen. Soldaten wie Pazifisten.

Man muss sich allerdings fragen, warum die afghanischen Sicherheitskräfte nach all den Jahren voller Rückschläge ausgerechnet jetzt in der Lage sein sollten, in Ihrem Land für Ordnung zu sorgen. Und dies nicht nur in Anbetracht der dilettantischen Ausbildung der Soldaten.

Ein Land, viele Mächte

Die Sprachprobleme dürften noch das geringste Problem sein. Man kann sich bis heute kaum darauf verlassen, dass alle in diesen neuen Truppen zu den «guten» gehören. Wer immer damit gemeint sein mag. Oder darauf, dass alle die gleiche Vorstellung von einer einheitlichen Nation und Rechtsstaat haben. Wie auch? Zu gross ist das Land. Zu verschieden die Stämme, Glaubensrichtungen, Ideologien. Und zu verworren die Geschichte und die Interessen US-legitimierter und anderer Machthaber.

Wären sich die einheimischen Machthaber einig über eine gerechte Regierungsbildung, wäre eine schwache oder instabile Armee kein grosses Problem. Schliesslich müsste diese nur gegen äussere Feinde für Schutz und Sicherheit der Bevölkerung sorgen. Vieles lässt aber darauf schliessen, dass die grösste Gefahr für die Stabilität des Landes von Innen ausgeht. Die Machtverteilung beruht nach wie vor eher auf Clan-Zugehörigkeit, Verwandtschaft, Waffengewalt und Terror, denn auf demokratischen Verhältnissen. Der Abzug der Truppen 2011 könnte einmal mehr den Rückfall in die Zeiten vor der amerikanischen Intervention bedeuten. Eine schlechte Ausbildung kann so gesehen sogar nützlich sein. Es ist aber keine gute Idee, die zukünftigen Bürgerkriegsgegner mit moderner Technik auszustatten und ohne Kontrolle zurück zu lassen.

Eine mutige Frau riskiert ihr Leben für ihr Volk

Einen Einblick in die explosive politische Situation in diesem riesigen Land bietet Malalai Joya – eine junge Frau, die sich gegen die Kriegsherren auflehnt – in ihrem Buch «Ich erhebe meine Stimme». Man fühlt sich unweigerlich an die Situation nach dem Abzug der Sowjets erinnert. Kriegsherren teilen das Land untereinander auf. Wo man sich nicht einig wird, droht oder herrscht schon Gewalt.

Bis zu einer Demokratie, wie sie den Amerikanern und ihren Verbündeten vorschwebt, wird es noch ein weiter, steiniger Weg sein. Sofern sie sich überhaupt erreichen lässt. Malalai Joya, selber Abgeordnete des ersten demokratischen Parlaments, entging mehreren Attentaten und lebt deshalb im Untergrund. Man kann für das Afghanische Volk nur hoffen, dass die Situation vor Ort sich bis 2011 komplett verändert.

Mein Buchtipp für jeden, der sich für dieses Land aus dem Blickwinkel einer Frau aus dem Volk interessiert:

«Ich erhebe meine Stimme – Eine Frau kämpft gegen den Krieg in Afghanistan» von Malalai Joya.

ISBN 978-3-492-05277-1

Interessantes Videomaterial über Malalai und ihr Wirken gibt es auch auf youtube.

Thema: Buchtipps, International, Politik | Kommentare (0) | Autor:

Der Islam

Dienstag, 23. März 2010 21:47

Es ist wieder etwas Ruhe eingekehrt, nach der „Volksinitiative Gegen den Bau von Minaretten“. Endlich. Das lässt hoffen, dass man bald wieder etwas sachlicher über das Thema Islam – und die damit verbundenen Ängste in der Bevölkerung – sprechen kann.

Etwas weniger ideologisch. Und ein bisschen weniger emotional als in der heissen Phase vor der Abstimmung. Standardspruch der Minarett-Gegner damals: «Ich habe den Koran gelesen» und «Da wird überall zum Morden von Ungläubigen aufgerufen!» Was will man gegen diese tiefen Einsichten einwenden?

Ich will jetzt einfach mal glauben, dass offenbar mehr Schweizer den Koran gelesen und verstanden haben, als die Bibel. Wobei mir das mit dem glauben ans Verstehen etwas schwerfällt. Nur schon, weil jede Übersetzung so ihre Tücken hat. (Machen Sie den Test und geben Sie einen beliebigen Arabischen Text an fünf verschiedene Übersetzer. Die Chancen stehen gut, dass da nicht unbedingt fünf übereinstimmende Sätze wieder zurück kommen.)

Aber das Verständnis der Worte ist sowieso zweitrangig. Selbst wenn der Koran gelesen und verstanden wurde, hat man damit noch nichts gewonnen. Wichtiger für die Einschätzung der angeblichen Bedrohung „durch den Islamismus“, ist, wie das Gelesene ausgelegt wird. Und zwar in erster Linie von den Muslimen. Schliesslich ist es ja diese angeblich homogene Islamo-Masse, die uns auf verschiedene Arten schaden wolle.

Aber gibt es „DEN Islam“ wirklich? Und „DEN Moslem“? Alles Hafächäs würde mein alter Freund zu recht sagen. Sonst würde es nicht diese äusserst verwirrende Zahl an Glaubensrichtungen geben. Man lese: Umma, Sunniten, Schiiten, Fünfer-Schiiten, Siebener-Schiiten, Zwölfer-Schiiten, Wahabiten, Salafiten Sufi, Fatimiden, Zaiditen, Umayyaden, Abbasiden, Alewiten. Alles klar?

Nur schon diese Aufzählung zeigt, dass kein Weg daran vorbei führt, sich für eine neue, sachliche Diskussion ein Mindestmass an Kenntnis anzueignen.

Wer  von Islamisten und bärtigen Predigern spricht, sollte mit den Begriffen Sunna, Schia, Hadith, Kalif, Imam, Mahdi oder Ayatollah etwas anfangen können.

Wer von religiösen Kämpfern und Gotteskriegern redet, sollte wenigstens im Ansatz die Unterschiede zwischen MudjahedinTalibanAl-KaidaHisbollahHamas und Fatah benennen können. Oder auch, wodurch sich PaschtunenTadschiken und Kurden in Afghanistan unterscheiden.

Und wer die aktuelle Bedrohung unserer Demokratie ganz einfach „irgendwo dort im Osten“ vermutet, sollte erklären können, was Afghanistan, Irak, Saudi Arabien, Iran, Pakistan, Syrien, Jordanien, Jemen und Libanon verbindet. Beziehungsweise, worin sie sich unterscheiden. Und wer dann plötzlich Lust auf Geschichte, Geografie und Religionsgeschichte bekommen hat, kann sich nur so zum Spass noch mit dem Maghreb, Maschrek und der Levante auseinandersetzen.

Wie schon die unzähligen Links in diesem Text zeigen, ist das alles etwas kompliziert. Und natürlich kann man nicht alles über die verschiedene Strömungen des Islam, die Geschichte der unterschiedlichen Völker und Clans, Parteien und politischen Ideologien wissen. Ich gebe gerne zu, dass auch ich mit jedem neuen Buch aufs neue verwirrt werde. Aber wer nicht einfach schwatzen will, damit geschwatzt ist, sollte sich über den Islam informieren.

Es gibt unzählige Bücher zu diesen Themen. Mein Buchtipp für eine gut verständliche und sachliche Einführung: „Die unbekannte Mitte der Welt – Globalgeschichte aus islamischer Sicht.“ von Tamim Ansary.

ISBN 978-3-593-38837-3

Viel Spass beim lesen

Thema: Buchtipps, Gesellschaft | Kommentare deaktiviert für Der Islam | Autor: