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Weisheiten – Über das falsche System

Dienstag, 30. November 2010 9:58

«Ich weiss, dass das System falsch ist. Bei uns in der Wirtschaft  sieht das ein Blinder. Aber ich diene dem falschen System mit Hingabe. Denn im Rahmen des falschen Systems, dem ich mein bescheidenes Talent zur Verfügung stelle, sind die falschen Massnahmen naturgemäss richtig, und die richtigen sind begreiflicherweise falsch. Ich bin ein Anhänger der eisernen Konsequenz, und ich bin ausserdem … ein Feigling.»

Handelsredakteur Malmy, in Erich Kästners Roman Fabian

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Verrückte auf dem Podium

Samstag, 25. September 2010 23:11

«Pfui Teufel», sagte Labude, «unten Sadisten und oben Verrückte.» Es scheint, der Herr hat keine Freude an den beliebten Casting-Shows.

Auf der Bühne machte ein zwecklos vor sich hinlächelndes Mädchen Sprünge. Es handelte sich offenbar um eine Tänzerin. Sie trug ein giftgrünes selbstgeschneidertes Kleid, hielt eine Ranke künstlicher Blumen und warf sich und die Ranke in regelmässigen Zeitabständen in die Luft.

Das Publikum unterhielt sich laut und lachte. «Fräulein, Sie werden dringend am Telefon verlangt!» schrie ein glatzköpfiger Herr. Die anderen lachten noch mehr als vorher. Die Tänzerin liess sich nicht aus der Unruhe bringen und fuhr fort zu lächeln und zu springen.

Die Rhapsodie war zu Ende. Das Mädchen auf der Bühne hüpfte weiter, der Tanz war noch nicht aus. Schliesslich fand sie selber, es sei genug, landete in einem misslungenen Knicks, lächelte noch alberner als vorher und breitete die Arme aus.

Ein dicker Herr stand auf. «Gut, sehr gut! Sie können morgen zum Teppichklopfen kommen!» Das Publikum lärmte und klatschte. Das Mädchen knickste wieder und wieder. Da kam ein Mann aus der Kulisse, zog die Tänzerin, die sich heftig sträubte, von der Bühne und trat selber an die Rampe.

«War die Tanzdarbietung nicht geradezu ein Erlebnis? Aber es kommt noch besser. Jetzt schicke ich einen heraus der Paul Müller heisst. Er wird Ihnen eine Ballade vortragen.»

Aus dem Hintergrund nahte ein langaufgeschossener, ungewöhnlich blasser Mensch in abgerissener Kleidung. «Tag Müller!» brüllte man. Paul Müller verbeugte sich, zeigte herausfordernden Ernst im Gesicht, fuhr sich durch die Haare und presste dann die Hände vor die Augen. Er sammelte sich. Plötzlich zog er die Hände vom Gesicht fort, streckte sie weit von sich, spreizte die Finger, riss die Augen auf und sagte: «Die Todesfahrt – von Paul Müller»

In diesem Augenblick warf jemand aus dem Publikum ein Stück Würfelzucker auf die Bühne. Paul Müller bückte sich, steckte den Zucker ein und fuhr mit unheilvoller Stimme fort. Wieder warf jemand Zucker auf die Bühne. Andere Gäste folgten dem Beispiel, und allmählich kam ein Würfelzuckerbombardement zustande, dem Müller nur dadurch zu begegnen wusste, dass er sich dauernd bückte. Es entwickelte sich ein Balladenvortrag mit Kniebeugen. Auch mit aufgerissenem Mund versuchte Müller, den ihm zufliegenden Zucker aufzufangen. Heiterkeit im Publikum.

Sind solche Veranstaltungen eine typische Erscheinung unserer Zeit? Nicht ganz. Was Labude da erlebte, ist ein (von mir stark gekürzter) Ausschnitt aus der Geschichte des Moralisten Fabian aus dem gleichnamigen Roman von Erich Kästner. Aus dem Jahr 1931.

Man sieht, der Mensch hat sich in den letzten 80 Jahren nicht sonderlich weiterentwickelt. Nicht nur, was die Unterhaltung auf Kosten anderer betrifft.

Deshalb möchte ich heute ein Buch aus dem Antiquariat als Buchtipp anbringen. Ein Klassiker, mit Einblick in die Gesellschaft vor dem 2. Weltkrieg. Und zugleich ein Abbild unserer Zeit.

«Fabian – Die Geschichte eines Moralisten» von Erich Kästner

ISBN: 3-85535-909-1

Wie immer viel Spass beim Lesen.

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