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Von der Neiddebatte zur Hirnforschung

Montag, 26. April 2010 21:00

Tagesanzeiger, 26. April 2010.

Wenn in einer Schlagzeile «Mehr Demokratie in der Wirtschaft» steht und Dinge wie «Neidgesellschaft» in der Einleitung, muss ich das unbedingt lesen. Das könnte interessant werden. Satz mit X: War wohl nix.

Schon der erste Satz des Beitrages von Simone Meier zeigt, dass auch die schreibende offenbar einer weit verbreiteten Fehleinschätzung unterliegt.

«Wir wundern uns alle über das Geld, das so dreist in den Manager-Etagen der Grossbanken verlocht wird, und sind neidisch und hätten für unsere harte Büez auch gerne mehr.»

Nein Frau Meier. Wir wundern uns nicht alle. Und wir sind auch nicht alle neidisch.

Aber egal. Dieser kurze Einstieg soll hier nur exemplarisch aufzeigen, woran viele Diskusionen scheitern. Und warum man viele Politiker, Manager oder Gläubige mit Argumenten in ihrer eigenen Wertewelt nicht erreicht: Sie betrachten ihre Umwelt ausschliesslich aus der eigenen Warte.

Wer Neid zu seiner natürlichen Gefühlswelt zählt, sieht nur Neider um sich herum. Der Egoist nur andere Egoisten. Vielleicht in verschiedenen Abstufungen. Aber letzten Endes eben doch Neider und Egoisten. Unvorstellbar, dass jemand anders ticken könnte. Und auch unerklärbar. (Ich habe es oft genug versucht.) Es gibt offensichtlich individuelle, aber unverhandelbare Ansichten.

Woher kommen diese unverrückbaren Überzeugungen? Liegt es an der Erziehung? Oder an den gemachten Erfahrungen? Zum Teil bestimmt auch daran. Aber ich denke, viele unserer stärksten Glaubenssätze hängen sehr direkt mit Funktionen, beziehungsweise Fehlfunktionen unseres Gehirns zusammen. Ein geradezu körperliches Gefühl des Wissens, ohne darüber nachdenken zu müssen. Deshalb sind sie so tief in uns verankert und so schwer zu entkräften.

Einen Hinweis darauf liefern auch die aktuellen Neurowissenschaften. Man weiss zum Beispiel dank Forschern wie Vilayanur Ramachandran, dass die Stimulation des Schläfenlappens zu starken religiösen oder spirituellen Gefühlen führen und Schläfenlappen-Epilepsie sogar spontan extreme religiöse Erfahrungen auslösen kann. Und wenn ich mich richtig erinnere, auch Allmachtsphantasien. Bestimmt kennt jeder jemanden, der davon betroffen sein könnte.

Mir fallen dazu die Gebrüder Blocher ein. Der eine reklamiert für sich politisches und wirtschaftliches Allwissen. Der andere wähnt sich der göttlichen Weisheit sicher. Bitte nicht falsch verstehen. Ich werte hier nicht und weiss nichts über die Gesundheit der beiden. Doch vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang. Und ich würde es gerne erfahren. Schliesslich hat das auch mit meinem Leben zu tun.

Oder man denke an Investmentbanker. Wäre es möglich, dass deren Verhaltensweisen mit der Beschaffenheit gewisser Hirnareale zu erklären sind? Neurowissenschaftler haben ein relativ neues Forschungsobjekt für sich entdeckt. Die Spiegelneuronen. Diese seit 1995 bekannten Zellen könnten der Schlüssel für das Verständnis von Empathie sein. Sie ermöglichen die Simulation des emotionalen Zustandes des Gegenübers und erlauben es, sich in diesen hineinzuversetzen. Ein Werkzeug für Mitgefühl, Zusammengehörigkeit und Verantwortungsbewusstsein.

Glaubt man verschiedenen Insiderberichten und Büchern, sind viele Investmentbanker ziemlich einsam. Nicht bindungsfähig und auch ausserhalb der Berufes immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Ob zu schwach feuernde Spiegelzellen egoistisches Verhalten verursachen könnten? Eine Erklärung wärs.

Zu gern würde ich erforschen, in wie weit unser Gehirn die Gesellschaft formt. Ob es ein SVP-Setup gibt. Oder eine Rote Socken-Voreinstellung. Und ich hoffe, dass es dazu mal eine grössere Studie mit öffentlichen Personen gibt. Das würde die vielen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zwar nicht besser, aber vielleicht doch verständlicher machen.

Wer etwas mehr über Hirnforschung erfahren möchte, findet unzählige spannende Bücher. Zumal sich durch die Forschung immer mehr Berührungspunkte zur Psychologie und Philosophie ergeben. Deshalb möchte ich hier statt Buchtipps einfach einige interessante Autoren erwähnen.

Paul Broks, klinischer Neuropsychologe, Plymouth/Birmingham
Marco Iacoboni, Prof. für Neuropsychiatrie, Los Angeles
Hans J. Markowitsch, Prof. für Physiologische Psychologie, Bielefeld
Thomas Metzinger, Philosoph und Leiter Neuroethik, Frankfurt
Oliver Sacks, praktizierender Neuropsychologe, New York
Vilayanur S. Ramachandran, Neurowissenschaftler, San Diego

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Thema: Bildungslücken, Buchtipps, Gesellschaft | Kommentare (0) | Autor:

Weisheiten – Über den Umgang

Mittwoch, 31. März 2010 10:10

«Respekt ist der empathische Bruder der Toleranz.»

Patrick

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Jugendgewalt

Sonntag, 28. März 2010 22:20

Kaum wird über Jugendgewalt gesprochen (Arena), kommt – Halali – von irgendwo ein Alfred Heer. Die Hatz auf Ausländer ist eröffnet.

Wäre ja noch schöner, wenn wir über die Hintergründe nachdenken müssten. Wo man doch einfach medienwirksam die bewährten Reisser “Ausländer” und “Abschieben” in die Runde werfen kann. Super Sache. Gewaltproblem gelöst.

Nun gut. Lassen wir die Schweizer Schläger für den Moment beiseite und befassen uns mit den Immigranten.

Viele Einwanderer stammen aus Kriegs- und Krisengebieten. Sie kamen – anders als in den 60ern die heute gut integrierten Italiener – nicht alle aus freien Stücken, um Geld für ein besseres Leben in der Heimat zu verdienen. Es blieb ihnen oftmals schlicht nichts anderes übrig, um das Leben der Familie zu schützen. Zumindest so lange, bis die Heimat wieder sicher genug für eine Rückkehr ist.

Die Jahre vergehen, die Kriege und Krisen bleiben. Was als Übergangslösung gedacht war, wird zum langfristigen Provisorium. Ohne Aussicht auf ein glückliches Ende. Man kann sich vorstellen, dass ein solches Leben im Wartezustand einen Menschen zermürbt.

Die Heer’sche Behauptung, wir Schweizer würden uns im umgekehrten Fall sofort der fremden Kultur anpassen, die Landessprache lernen und als Musterbeispiel für gelungene Integration vorangehen, hat mit der Realität nicht viel zu tun. Sie geht von einer falschen Vorstellung von Wahlfreiheit aus. Wohl einfach aus dem Grund, weil wir uns Krieg, Verfolgung und Vertreibung in unserer friedlichen Schweiz schlecht vorstellen können. Dennoch sollten wir versuchen, uns einmal in die Lage dieser Familien zu versetzen.

Denn in dieser täglichen Unsicherheit wächst eine zweite Generation heran. Hin- und hergerissen zwischen alter und neuer Heimat. Zwischen streng patriarchalischer Familienstruktur und liberaler Gesellschaft. Aber ohne Wurzeln. Und ohne Sicherheit.

Woran sollen sie sich orientieren? Wie ihren Platz in der Gesellschaft finden? Und in welcher Gesellschaft, wenn es morgen vielleicht doch wieder zurück geht? Kein Wunder gesellen sie sich zu anderen Jugendlichen in einer ähnlichen Situation.

Wenn wir diesen Kindern ein stabiles Fundament ohne Gewalt geben wollen, müssen wir ihnen eine Heimat und Perspektiven bieten. Hoffnung statt Drohung. Und Respekt statt Toleranz. Denn Respekt hat für diese Kinder eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Ohne Zweifel ist der fehlende Respekt Teil unseres Gewaltproblems. In zweifacher Hinsicht. Die unter Jugendlichen weit verbreitete Vorstellung, der andere müsse sich “den Respekt erst verdienen” führt unweigerlich zu Gewalt. Schliesslich gilt: Verschaffe dir Respekt, indem du andere verprügelst. Und verprügle, wen du nicht respektierst.

Warum zeigen wir diesen Jungen nicht einfach, dass sie auch ohne Machogehabe Anerkennung finden können? In vielen Fällen ist das gar nicht so schwer. Man muss einfach mit ihnen sprechen. Wo man sie gerade trifft. Mit ehrlichem Interesse.

Und eben auch, mit ehrlichem Respekt.

Mein Buchtipp für alle, die sich für die Geschichte auf dem Balkan interessieren: “Minenfeld Balkan. Der unruhige Hinterhof Europas” von Olaf Ihlau und Walter Mayr.

ISBN 978-3-88680-916-5

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