Gedanken zur ALV-Revision Teil I
In knapp einem Monat findet die Volksabstimmung zur nächsten Revision des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung (AVIG) statt. Abzustimmen gilt es am 26. September 2010 über die Art, wie das Defizit der Arbeitslosenversicherung in Höhe von sieben Milliarden Franken abgebaut werden soll. Dies mit einer möglichst fairen Lösung, wie alle Beteiligten betonen.
Klingt zunächst annehmbar. Doch wie gewohnt liegen die Vorstellungen von Fairness zwischen links und rechts weit auseinander. Höchste Zeit also, sich mit den Argumenten der Parteien zu befassen. Heute zunächst mit den ersten Wortmeldungen der bürgerlichen Parteien.
Never change a Killerargument
Das «überparteiliche Komitee» aus CVP, FDP, BDP, glp und SVP sagt:
Ja bedeutet, dass wir deutlich mehr im Portemonnaie haben.
Die CVP kopiert vorerst einfach das Communiqué zur Pressekonferenz des Komitees:
Höhere Lohnabzüge stoppen – Sichere Arbeitslosenversicherung JA
Die FDP meint auf Ihrer Homepage und auf Plakaten:
Ohne Revision: Weniger Lohn!
Die BDP auf der Homepage etwas verwirrend:
Die BDP wird die Parole an der DV vom 21. August in Solothurn fassen.
Die Grünliberalen verweisen auf das Komitee:
Ja bedeutet, dass wir deutlich mehr im Portemonnaie haben.
Die SVP für einmal etwas weiter ausholend:
Eine Erhöhung der Lohnabzüge um +0.5 Prozent [würde] den wirtschaftlichen Aufschwung in der Schweiz gefährden und auch die arbeitenden Personen und Familien mit tiefen Einkommen übermässig in die Pflicht nehmen.
Nach einem ersten Überblick scheint mir, das Killerargument der Befürworter zielt wieder einmal auf meine notorisch klamme Brieftasche. Das funktioniert immer. Deshalb habe ich sicherheitshalber kurz mal nachgerechnet, ob ich mir morgen mein geliebtes Bauernfrühstück noch leisten kann.
So viel wird im Portmonee fehlen
Um einem möglichen Zahlenchaos vorzubeugen ein Hinweis zur Berechnung: Die Parteien verwenden in ihrer Argumentation die Prozentzahlen der Gesamtabzüge, also Arbeitnehmer plus Arbeitgeber (bisher 2%, bei Annahme 2,2%, bei Ablehnung 2,5%). Da der Arbeitnehmer jedoch nur die Hälfte davon bezahlt, teile ich die angegebenen Zahlen durch zwei. Schliesslich geht es ja um mein Stimmbürger-Portmonee.
Die Zahlen:
Heute wird dem Arbeitnehmer 1 Prozent des Bruttolohnes abgezogen.
- Bei einem Ja) bezahlen wir 0,1% mehr, also 1,1%.
- Bei einem Nein) kostet uns die Versicherung 0,25% mehr, also 1,25%
Bei einem Durchschnittseinkommen von 5800 Franken, macht das bei
- Variante Ja) ein Plus von Fr. 5.80 / Monat
- Variante Nein) ein Plus von Fr. 14.50 / Monat
- Differenz von Ja und Nein: Fr. 8.70 im Monat.
Da es laut SVP auch um das Partmonee der «Personen und Familien mit tiefen Einkommen» geht, habe ich das ganze noch mit einem durchschnittlichen Lohn im Verkauf von 3600.– Franken Brutto durchgerechnet.
- Variante Ja) 0,1% von Fr. 3600.– = Fr. 3.60 / Monat
- Variante Nein) 0,25% von Fr. 3600.– = Fr. 9.– / Monat
- Differenz von Ja und Nein: Fr. 5.40 im Monat.
Zwischenbilanz: Der Preis für ein Nein liegt für den Durchschnittsschweizer irgendwo zwischen fünf und zehn Franken im Monat.
Diesen massiven Eingriff in meine Finanzplanung muss ich erst einmal sacken lassen. Sobald ich mich davon erholt habe, werde ich mich hier auch noch mit den Konsequenzen für die von Arbeitslosigkeit betroffenen beschäftigen.
Freitag, 24. September 2010 0:06
Sabotierung der Arbeitslosenversicherung und Kostenverschiebung auf die Arbeitslosen.
Die Proponenten der Revision behaupten, die 2,5% Lohnauszug wären zu aufwendig, obwohl nicht so weit zurück die 3% kein Problem dargestellt haben. Es wurde mit völlig voraussehbare Konsequenzen auf 2% niedergedrückt mit der klare Absicht, die ALV tief in den roten Zahlen zu versenken.
Danach ändert man das Gesetz, um die 622 Millionen fehlender Einnahmen jetzt allein durch die arbeitslosen Arbeitern « a posteriori » bezahlen zu lassen (Arbeitsgeber drücken sich ab), nur die andere Hälfte von 646 Millionen wird immer noch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilt.
Damit sollten die « Verzichtungen » der 3,6% Arbeitslosen etwas an den Bonus derjenigen Arbeitgebern polstern, die gerade an der Sabotierung der ALV schuldig sind.
646 Millionen entsprechen monatlich fr. 6,80 pro Arbeiter (und 6,80 des Arbeitgebers).
622 Millionen entsprechen ein Verlust monatlich von fr. 363.- pro Arbeitslosen!
Im Gegenteil, zusammen gezählt die Summe von fr. 1’266 Millionen entsprechen monatlich fr. 13,30 pro Arbeiter (und wieder 13,30 für die Firma). Eine einfache und gerechte Lösung.
Basis für diese Mittelwerte sind, von SECO, die 142’879 Arbeitslosen, was mit den 3,6% Quote eine Anzahl von 3’968’861 Arbeiter entspricht.
Das Ziel dieser ganzem Drum-und-dran (als Revision verkauft) kann sich dementrechend nicht als Ausgleich des Defizit vortauschen, da derselbe Ausgleich mit einem 3% überhaupt nicht existieren würde; also als Ziel der Proponenten bleibt nur die Ausbeutung der Hälfte der 622 Millionen, die sonst durch die Arbeitgebern hätten bezahlt werden müssen, und durch diese unverschämten Manövern an den Arbeitslosen jetzt angehängt werden. Die Arbeitgeber wollen ganz einfach die durch das Gesetz bestimmte Geldern an der ALV nicht bezahlen, indem sie das Gesetz umsetzen und ihren (selbstverschuldeten) Schuldenberg an Arbeitslosen verschieben.
Das Defizit einer gewisse Zeitspanne soll durch die Regeln der Gesetze derselben Zeitspanne abgelöscht werden. Jegliche abweichende Versuche, frühere Fehler auf nächste veränderte Zeiten und Gesetze zu verschieben, stellen einen schwerwiegenden Betrug dar, den man entschlossen im Gericht anfechten soll, zusammen mit der Anklage der untreue Bewirtschaftung der ALV an Regierung und Parlament.
Merken Sie sich, in der Revision werden nur die « guten » Risiken recht versichert, dagegen Jungen und Älteren abserviert.
Sollte analogerweise die Krankenversicherung sich nur noch auf Bauchweh beschränken?
Endlich erweckt?
Bertrand Chevalley, Architekt
Freitag, 24. September 2010 17:16
Ich bezweifle, dass das ALV-Defizit böse Absicht von irgendwelchen Bösen Buben war. Viel mehr hat man wohl in guten Zeiten einfach darauf gehofft, dass diese nie vorbeigehen werden, statt die Chance zu nutzen, die Kasse zu füllen.