Beiträge vom 19. April 2010

Chaotische Masse

Montag, 19. April 2010 21:47

Ich bin immer wieder fasziniert, wie eine Menschenmasse sich auf engstem Raum mit- und durcheinander bewegt. Ungesteuert und trotzdem beinahe reibungslos. Besonders gut lässt sich dieses unkoordinierte Wunder an einem Tag wie dem Sechseläuten in Züri mitverfolgen.

Wer nicht zünftig drauf ist, oder zumindest einen Cervelat für danach mit dabei hat, macht sich schleunigst auf den Heimweg. Und dieses Jahr vielleicht noch einige, die gerade zum x-ten Mal erfahren haben, dass ihr Flugzeug dank Eyjafjallajökull nun doch nicht mehr heute abheben wird. Man trifft sich am Bahnhof. Am Hauptbahnhof Zürich, Haupthalle, um genau zu sein.

Ideal um wieder einmal das Menschengewusel zu studieren. Und die folgenden drei Pfadfinder-Strategie-Typen:

Der Uninteressierte

Der Vertreter dieser Taktik geht unbeirrt seinen Weg. Er legt ein grundsätzliches Desinteresse für alles um sich herum an den Tag. Oder er konzentriert sich beim gehen auf etwas anderes. Zum Beispiel auf eine SMS, die er gerade schreibt. Ausweichen soll und wird der andere.

Der Globale

Wer diese Strategie wählt, verfolgt einen Mittelweg. Er beobachtet auf seinem Weg die Menschenmasse auf weite Distanz. Als ganzes, nicht als Individuen. Ihn interessieren nicht die möglichen einzelnen Hindernisse, sondern die Lücken, die sich dazwischen auftun. So kann er seine Richtung fliessend anpassen, ohne direkt ausweichen zu müssen.

Der Individuelle

Dieser Zeitgenosse schaut nicht zu weit nach vorne. Er konzentriert sich lieber auf den potentiell nächsten Störfaktor. Im Idealfall nimmt er Blickkontakt auf. So kann er abschätzen, wie der andere sich verhalten wird und kurzfristig seine Richtung ändern.

Jede dieser drei Strategien hat ihre Vor- und Nachteile. Der Uninteressierte überlässt das Ausweichen den anderen. Das ist bequem. So lange, bis er einem anderen Uninteressierten begegnet. Oder einem, der aus Prinzip keine Lust zum ausweichen hat. Auch der Globale kommt normalerweise gut voran. Es sei denn, es tut sich in einer geschlossenen Menge keine Lücke auf. Der Individuelle hat es wohl am schwersten. Seine Strategie verlangt stete Aufmerksamkeit. Und Anpassung. Und es besteht die Gefahr, dass er sich abtreiben lässt. Dafür bekommt er aber hin und wieder ein Lächeln von einem anderen Individuellen. Was an einem Bahnhof nicht selbstverständlich ist.

Aber welches ist die beste dieser Strategien?

Während ich so am HB sitze, beobachte und über diese Frage nachdenke, höre ich ein lautes «PASS AUF!». Mehrere Passanten bleiben kurz stehen und drehen wie ich den Kopf zu der Stimme. Dort kommt gerade eine Frau zum Zug Richtung Hamburg angerannt. Ihr Ruf gilt keiner einzelnen Person, sondern der Allgemeinheit. Nicht sehr höflich. Aber ich gebe zu: auch eine Möglichkeit.

Thema: Gesellschaft, Mensch | Kommentare (2) | Autor: