Jugendgewalt

Kaum wird über Jugendgewalt gesprochen (Arena), kommt – Halali – von irgendwo ein Alfred Heer. Die Hatz auf Ausländer ist eröffnet.

Wäre ja noch schöner, wenn wir über die Hintergründe nachdenken müssten. Wo man doch einfach medienwirksam die bewährten Reisser “Ausländer” und “Abschieben” in die Runde werfen kann. Super Sache. Gewaltproblem gelöst.

Nun gut. Lassen wir die Schweizer Schläger für den Moment beiseite und befassen uns mit den Immigranten.

Viele Einwanderer stammen aus Kriegs- und Krisengebieten. Sie kamen – anders als in den 60ern die heute gut integrierten Italiener – nicht alle aus freien Stücken, um Geld für ein besseres Leben in der Heimat zu verdienen. Es blieb ihnen oftmals schlicht nichts anderes übrig, um das Leben der Familie zu schützen. Zumindest so lange, bis die Heimat wieder sicher genug für eine Rückkehr ist.

Die Jahre vergehen, die Kriege und Krisen bleiben. Was als Übergangslösung gedacht war, wird zum langfristigen Provisorium. Ohne Aussicht auf ein glückliches Ende. Man kann sich vorstellen, dass ein solches Leben im Wartezustand einen Menschen zermürbt.

Die Heer’sche Behauptung, wir Schweizer würden uns im umgekehrten Fall sofort der fremden Kultur anpassen, die Landessprache lernen und als Musterbeispiel für gelungene Integration vorangehen, hat mit der Realität nicht viel zu tun. Sie geht von einer falschen Vorstellung von Wahlfreiheit aus. Wohl einfach aus dem Grund, weil wir uns Krieg, Verfolgung und Vertreibung in unserer friedlichen Schweiz schlecht vorstellen können. Dennoch sollten wir versuchen, uns einmal in die Lage dieser Familien zu versetzen.

Denn in dieser täglichen Unsicherheit wächst eine zweite Generation heran. Hin- und hergerissen zwischen alter und neuer Heimat. Zwischen streng patriarchalischer Familienstruktur und liberaler Gesellschaft. Aber ohne Wurzeln. Und ohne Sicherheit.

Woran sollen sie sich orientieren? Wie ihren Platz in der Gesellschaft finden? Und in welcher Gesellschaft, wenn es morgen vielleicht doch wieder zurück geht? Kein Wunder gesellen sie sich zu anderen Jugendlichen in einer ähnlichen Situation.

Wenn wir diesen Kindern ein stabiles Fundament ohne Gewalt geben wollen, müssen wir ihnen eine Heimat und Perspektiven bieten. Hoffnung statt Drohung. Und Respekt statt Toleranz. Denn Respekt hat für diese Kinder eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Ohne Zweifel ist der fehlende Respekt Teil unseres Gewaltproblems. In zweifacher Hinsicht. Die unter Jugendlichen weit verbreitete Vorstellung, der andere müsse sich “den Respekt erst verdienen” führt unweigerlich zu Gewalt. Schliesslich gilt: Verschaffe dir Respekt, indem du andere verprügelst. Und verprügle, wen du nicht respektierst.

Warum zeigen wir diesen Jungen nicht einfach, dass sie auch ohne Machogehabe Anerkennung finden können? In vielen Fällen ist das gar nicht so schwer. Man muss einfach mit ihnen sprechen. Wo man sie gerade trifft. Mit ehrlichem Interesse.

Und eben auch, mit ehrlichem Respekt.

Mein Buchtipp für alle, die sich für die Geschichte auf dem Balkan interessieren: “Minenfeld Balkan. Der unruhige Hinterhof Europas” von Olaf Ihlau und Walter Mayr.

ISBN 978-3-88680-916-5

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Datum: Sonntag, 28. März 2010 22:20
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