Der Islam

Es ist wieder etwas Ruhe eingekehrt, nach der „Volksinitiative Gegen den Bau von Minaretten“. Endlich. Das lässt hoffen, dass man bald wieder etwas sachlicher über das Thema Islam – und die damit verbundenen Ängste in der Bevölkerung – sprechen kann.

Etwas weniger ideologisch. Und ein bisschen weniger emotional als in der heissen Phase vor der Abstimmung. Standardspruch der Minarett-Gegner damals: «Ich habe den Koran gelesen» und «Da wird überall zum Morden von Ungläubigen aufgerufen!» Was will man gegen diese tiefen Einsichten einwenden?

Ich will jetzt einfach mal glauben, dass offenbar mehr Schweizer den Koran gelesen und verstanden haben, als die Bibel. Wobei mir das mit dem glauben ans Verstehen etwas schwerfällt. Nur schon, weil jede Übersetzung so ihre Tücken hat. (Machen Sie den Test und geben Sie einen beliebigen Arabischen Text an fünf verschiedene Übersetzer. Die Chancen stehen gut, dass da nicht unbedingt fünf übereinstimmende Sätze wieder zurück kommen.)

Aber das Verständnis der Worte ist sowieso zweitrangig. Selbst wenn der Koran gelesen und verstanden wurde, hat man damit noch nichts gewonnen. Wichtiger für die Einschätzung der angeblichen Bedrohung „durch den Islamismus“, ist, wie das Gelesene ausgelegt wird. Und zwar in erster Linie von den Muslimen. Schliesslich ist es ja diese angeblich homogene Islamo-Masse, die uns auf verschiedene Arten schaden wolle.

Aber gibt es „DEN Islam“ wirklich? Und „DEN Moslem“? Alles Hafächäs würde mein alter Freund zu recht sagen. Sonst würde es nicht diese äusserst verwirrende Zahl an Glaubensrichtungen geben. Man lese: Umma, Sunniten, Schiiten, Fünfer-Schiiten, Siebener-Schiiten, Zwölfer-Schiiten, Wahabiten, Salafiten Sufi, Fatimiden, Zaiditen, Umayyaden, Abbasiden, Alewiten. Alles klar?

Nur schon diese Aufzählung zeigt, dass kein Weg daran vorbei führt, sich für eine neue, sachliche Diskussion ein Mindestmass an Kenntnis anzueignen.

Wer  von Islamisten und bärtigen Predigern spricht, sollte mit den Begriffen Sunna, Schia, Hadith, Kalif, Imam, Mahdi oder Ayatollah etwas anfangen können.

Wer von religiösen Kämpfern und Gotteskriegern redet, sollte wenigstens im Ansatz die Unterschiede zwischen MudjahedinTalibanAl-KaidaHisbollahHamas und Fatah benennen können. Oder auch, wodurch sich PaschtunenTadschiken und Kurden in Afghanistan unterscheiden.

Und wer die aktuelle Bedrohung unserer Demokratie ganz einfach „irgendwo dort im Osten“ vermutet, sollte erklären können, was Afghanistan, Irak, Saudi Arabien, Iran, Pakistan, Syrien, Jordanien, Jemen und Libanon verbindet. Beziehungsweise, worin sie sich unterscheiden. Und wer dann plötzlich Lust auf Geschichte, Geografie und Religionsgeschichte bekommen hat, kann sich nur so zum Spass noch mit dem Maghreb, Maschrek und der Levante auseinandersetzen.

Wie schon die unzähligen Links in diesem Text zeigen, ist das alles etwas kompliziert. Und natürlich kann man nicht alles über die verschiedene Strömungen des Islam, die Geschichte der unterschiedlichen Völker und Clans, Parteien und politischen Ideologien wissen. Ich gebe gerne zu, dass auch ich mit jedem neuen Buch aufs neue verwirrt werde. Aber wer nicht einfach schwatzen will, damit geschwatzt ist, sollte sich über den Islam informieren.

Es gibt unzählige Bücher zu diesen Themen. Mein Buchtipp für eine gut verständliche und sachliche Einführung: „Die unbekannte Mitte der Welt – Globalgeschichte aus islamischer Sicht.“ von Tamim Ansary.

ISBN 978-3-593-38837-3

Viel Spass beim lesen

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Datum: Dienstag, 23. März 2010 21:47
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