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Die Bank als Gotteshaus

Mittwoch, 2. Juni 2010 9:59

Seit Beginn der Finanzkrise wird in den spärlichen Stellungnahmen der Führungsspitzen stets betont, dass im eigenen Finanzhaus jedes Geschäft unter streng rationalen Gesichtspunkten und Prüfung sämtlicher verfügbaren Daten getätigt wurde und wird. Von Akteuren im hochkomplexen Finanzsektor sollte man auch nichts anderes erwarten, als rationales Denken und Handeln.

Die Vorstellung, dass Mitarbeiter solcher Finanzinstitute sich in organisierten Bibelgruppen zum «Gebetskreis in einem Sitzungszimmer [treffen], um für aktuelle Probleme der Firma, des Management sowie von Mitarbeitern zu beten» dürfte denn auch manch einen mehr als nur nachdenklich stimmen.

Was ist davon zu halten, wenn in einer vorbereiteten Checkliste für die Gründung eines Firmen-Gebetskreises «Weil ich mich von Gott gerufen weiss» oder «Weil ich mir wünsche, dass Kollegen zum Glauben finden» als Motivationsgründe aufgelistet werden? Welche Konsequenzen hat dieser forcierte Einzug des Glaubens in die Finanzwelt und für die Verantwortlichkeit des Einzelnen, wenn letztlich alles Gottes Wille ist?

Jeder soll in einer freien Gesellschaft seinen Glauben ausüben können. Aber die Frage, ob ein Finanzhaus der richtige Ort für das Gebet zu einem handelnden Gott ist, muss erlaubt sein. Vor allem, wenn das betreffende Institut als systemrelevant eingestuft und dadurch im Notfall durch eine Staatsintervention – also letztlich durch die Gesellschaft – geschützt wird.

Thema: Gesellschaft, Mensch, Wirtschaft | Kommentare (0) | Autor:

Aufruf zur öffentlichen Distanzierung

Sonntag, 23. Mai 2010 14:17

Haben Sie sich heute schon von aktuellen und möglichen zukünftigen Aussagen politisch oder auf andere Art aktiver Extremisten distanziert? Nicht nur öffentlich und persönlich, sondern auch stellvertretend für Ihr näheres Umfeld?

Es gibt immer einen Grund zur Entschuldigung

Sie müssen weder Extremist noch Mitglied einer rechten oder linken Partei sein. Es reicht, wenn Sie etwas konservativ sind. Oder einen Marx im Bücherregal stehen haben. Dann sollten Sie sich zu jeder öffentlichen Äusserung von links oder rechts sofort erklären. Vielleicht auch stellvertretend für Ihre Generation. Auf jeden Fall aber, wenn Sie christliche Werte hochhalten. Oder einmal an einem ersten Mai an einer friedlichen Demo teilnahmen. Und sicherheitshalber, falls Sie einem Turnverein oder Schrebergärtnerverein aktiv sind. Sicher ist sicher.

Würden wir uns für alles verantwortlich fühlen, was auch nur entfernt mit uns und unserem Umfeld in Verbindung gebracht werden könnte, hätten wir bald nichts anderes mehr zu tun, als uns zu erklären. Für Dinge, die mit unserem Leben und unserer Einstellung direkt nichts zu tun haben.

Und doch erwarten und fordern wir dieses Verhalten zunehmend von Muslimen, Arabern und Migranten aus sogenannten Islamischen Ländern. Weil ein Konvertit sich zum Sprachrohr der Muslime ernennt und gerne öffentlich seine persönliche Meinung vertritt. Selbst ein weltoffener Zeitgenosse fragte kürzlich: «Warum distanzieren die sich nicht einfach?»

Mit ein Grund für diese stetige Forderung nach Erklärung und Distanzierung ist auch die mediale Berichterstattung.

Drei von fünf Freitagspredigten für heikel befunden

Wenn Unverständnis und Schuldzuweisungen das kulturelle Klima vergiften, ist jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema, die zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen und Religionen in unserem Land beiträgt, begrüssenswert. Doch allzu oft lässt es die Berichterstattung an Ausgewogenheit fehlen.

So berichtete das Schweizer Fernsehen Anfang April 2010 in der Tageschau über einige ausgewählte Prediger und präsentierte lieber einige schwarze Schafe, anstatt ein ausgewogenes Bild der religiösen Gemeinschaften aufzuzeigen. Dies zeigt schon die Wahl des Titels «Drei von fünf Freitagspredigten heikel» während man dann im Bericht bei genauerem hinhören erfährt, dass von den 200 Moscheen in der Schweiz gezielt die fünf einschlägig bekannten für eine Übersetzung des Freitagsgebets ausgesucht wurden. Von dieser ausgesuchten Auswahl wurden dann drei Predigten als heikel bezeichnet. Was dann richtig formuliert «Drei von 200 Freitagspredigten heikel» lauten müsste. Aber «drei von fünf» klingt besser. Und wie so oft verleiten solche Zahlen – ob gewollt, oder nicht – zu Missverständnissen. In diesem Fall zur Annahme, dass 3/5 aller Freitagspredigten, anders gesagt über die Hälfte, oder in Zahlen 120 von 200, zu beanstanden seien.

Dass von dieser Auswahl dann die offenbar schlimmsten Ausschnitte der Predigten wie die Aussage, «Wenn du deine Blicke [vor der Entblössung] nicht senkst, wirst du zum Anhänger von Satan» als ideologisch heikel eingestuft wurden, würde ich sehr wohlwollend formuliert als eher einseitig bezeichnen. Zumal man den Zusammenhang zwischen «Fleischeslust» und «Versündigen» auch im christlichen Glauben kennt. Aber achten Sie einfach selber im Bericht unvoreingenommen auf den Wortlaut und ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse zu der Gefährlichkeit des Inhaltes.

Wenn das die gefährlichsten Aussagen waren, können wir wohl wieder ruhig schlafen.

Die Basis für den Tagesschaubericht und viele undifferenzierte öffentlichen Bezugnahmen in den folgenden Wochen liefert übrigens die DOK-Sendung «Hinter dem Schleier» von Karin Bauer. Leider hat sie es in den drei Monaten Recherche nicht geschafft, auch nur im Ansatz zwischen Religion, Ideologie, Kultur, Ethnie und Nationalität zu unterscheiden. Man beachte die Vermischung, beziehungsweise Gegenüberstellung, von Religion/Ideologie und Nationalität, die sich durch die ganze Sendung zieht. Auf der einen Seite die Bösen, oft konvertierte Radikale, auf der anderen Seite die Guten, in diesem Fall junge Türken, die ihre Religion etwa so ernsthaft praktizieren, wie der durchschnittliche Schweizer sein Leben nach der Bibel ausrichtet.

Wer also muss sich hier in der Schweiz von extremistischen Fundamentalisten distanzieren? Araber? Wenn ja, welcher Nationalität? Oder Muslime? Falls ja, welcher religiösen Strömung? Oder alle Konvertiten? Auch hier: welcher religiösen Richtung? Und wie sieht es mit atheistischen Muslimen aus? Auch das gibt es.

Pflicht zur Entschuldigung für alle oder niemanden

Wenn wir von jedem Moslem ernsthaft für jedes Fehlverhalten einer kleinen Gruppe eine persönliche Distanzierung oder Entschuldigung einfordern, um die Guten von den Bösen unterscheiden zu können, sollten auch wir damit beginnen, uns zu erklären.

Entschuldigen wir uns zunächst öffentlich – und zwar jeder einzeln an einer Demo, im Fernsehen, in der Zeitung und im Internet – bei den Aids-Waisen in Afrika für die Päpste und anderen Kirchenvertreter für ihre Haltung zu Kondomen und Verhütung trotz Aids/HIV. Distanzieren wir uns danach von Freikirchlern, die öffentlich zum gemeinsamen Gebet für die «Genesung» von Homosexuellen aufrufen. Und weil wir gerade dabei sind, entschuldigen wir uns auch gleich noch für unsere Politiker von links bis rechts, die zur eigenen Profilierung jeden Andersdenkenden verunglimpfen, beschimpfen und die Schweiz im Ausland in ein schlechtes Licht bringen.

Oder wir hören einfach damit auf, ganze Bevölkerungsgruppen für die Aussagen einzelner verantwortlich zu machen. Denn wie so oft ist die Welt nicht so einfach, wie wir das gerne hätten.

Wer etwas entspannter mit dem fremden Glauben umgehen will, kommt nicht darum herum, sich ein bisschen mit der Geschichte der Religionen zu beschäftigen.

Mein Buchtipp für alle, die sich einen Überblick über die Entwicklung der Religionen und das Zusammenspiel von Religion, Ideologie, Kultur, Ethnie und Nationalität verschaffen wollen: «Heilige Einfalt – Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen» von Olivier Roy. Klingt reisserischer als es ist. Aber auch einfacher, als man es sich manchmal wünschen würde. Brummender Kopf garantiert.

ISBN 978-3-88680-933-2

Viel Spass beim lesen.

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Thema: Buchtipps, Gesellschaft, Mensch, Politik, Schweiz | Kommentare (0) | Autor:

Kunst & Politik

Freitag, 14. Mai 2010 17:25

Beinahe täglich wird in der Schweiz gegen eine Minderheit gehetzt, um aus den angeblichen Problemen politisches Kapital zu schlagen. Das soziale und kulturelle Klima wird zunehmend vergiftet. Nicht zuletzt, weil das Feld bisher kampflos den Politikern und ihren Eigeninteressen überlassen wurde.

Wo bleiben die Stimmen aus der Kunst- und Kulturszene? Viel zu selten verschaffen sich Künstler und Kulturschaffende öffentliches Gehör. Es reicht nicht, sporadisch und auf Einladung die eigene Meinung in ein Mikrofon oder eine Kamera zu sprechen, um in diesem Land etwas positives zu bewirken.

Es wird Zeit, sich aktiv einzumischen.

Aus diesem Grund trafen sich am Samstag, 8. Mai 2010 Schweizer Kunst- und Kulturschaffende im Berner Schlachthaustheater, um sich darüber auszutauschen, wie sich Künstlerinnen und Künstler mit ihrer Arbeit, aber auch als öffentliche Personen politisches Gehör verschaffen können. «Ein sehr inspirierender Nachmittag» wie der Filmschaffende Samir zu berichten weiss. Und «der politische Diskurs unter den Kulturschaffenden wird weiter gehen».

Die Zusammenkunft wurde denn auch gleich genutzt, um den Willen zur Zusammenarbeit zu bekräftigen. Dazu wurde das eigens zu diesem Zweck verfasste «Kanarienvogelmanifest» verabschiedet.

Kunst & Politik | Daniel de Roulet | Das Kanarienvogelmanifest

httpv://www.youtube.com/watch?v=MHYhm8qklMY

Weitere Informationen samt Wortlaut des Kanarienvogelmanifests und die Möglichkeit, sich zu engagieren, gibt es auf der Homepage appel.lemata. Einige Bilder zur Veranstaltung auf dem Kultpavillonblog.

Thema: Gesellschaft, Kunst, Politik, Schweiz | Kommentare (0) | Autor:

ALV-Sanierung auf Kosten der Arbeitslosen

Donnerstag, 13. Mai 2010 18:12

Einmal mehr zeigen die Bürgerlichen, wie man schwierige Probleme auf einfache Art löst. Auf dem Rücken der Betroffenen. Bei der geplanten Sanierung der Arbeitslosenversicherung, folgerichtig auf dem der Arbeitslosen. Mit dem schönen Nebeneffekt, gleich noch die Arbeitslosen-Statistik durch abschieben der Versicherten in «egal welchen» Job oder deren abgleiten in die Sozialhilfe schönen zu können.

Geht es nach CVP, FDP und SVP, soll bei den Arbeitslosen wie schon bei der letzten Revision 2002 durch massive Kürzungen der Bezugsdauer gespart werden. Statt 400 sollen Versicherte mit 12 Monaten Beitragszeit in Zukunft nur noch 260 Taggelder (ein Jahr) erhalten. Unter 25jährige sogar nur 200. Am liebsten würde man mit einer degressiven Kürzung der Taggeldhöhe bei Langzeitarbeitslosen auch noch einen weiteren Anreiz schaffen, sich intensiver um die Arbeitssuche zu kümmern.

Dabei wird der Arbeitslose schon heute bei jeder Gelegenheit an seine «Schadensminderungspflicht» gegenüber der Arbeitslosenversicherung erinnert. Wer sich beispielsweise nicht um eine «angemessene» und schriftlich festgehaltene Anzahl an Bewerbungen pro Monat bemüht, wird mit 1 bis 60 Einstelltagen bestraft. Das heisst, mit voll auf das Taggeldguthaben angerechneten Tagen, die aber nicht ausbezahlt werden. Dabei ist es irrelevant, ob es in diesem Monat auch wirklich genügend «zumutbare» Stellen gab. Das neue automatisierte Abrechnungs- und Kontrollsystem kennt keine Ausnahmen.

Durch solche und andere Druckmittel und Androhung von Zwangsmassnahmen bei Nichteinhaltung werden Arbeitslose dazu gezwungen, sich um alle «zumutbaren» – sprich, alle möglichen und unmöglichen – Stellen zu bewerben. Leider finde ich die Quelle nicht mehr, aber kürzlich wurden Zahlen veröffentlicht, die belegen, dass eine hohe Zahl ehemaliger Arbeitsloser sich schon nach drei bis neun Monaten nach Stellenantritt erneut arbeitslos melden. Kein Wunder hat die Bürgerliche Strategie schon in den vergangenen Jahren nichts zur Entlastung der Arbeitslosenversicherung beigetragen.

Schlimmer noch. Die amtliche Fixierung auf Quantität statt Qualität der Bewerbungen hat weitreichende und vor allem kontraproduktive Auswirkungen auf die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Wie mir bekannte Personalverantwortliche bestätigen, melden sich vermehrt stellenlose, klar ungeeignete Kandidaten auf Stellenausschreibungen. Dies bedeutet zunächst einmal einen massiven Mehraufwand, die Flut an Bewerbungen nur schon zu sortieren. Stellt sich dann im Gespräch heraus, dass Bewerber sich melden mussten, vielleicht sogar weil sie eine Zuweisung durch das Arbeitsamt erhielten, wird die Angabe «Stellensuchend» im Lebenslauf früher oder später schon in der ersten Sichtungsphase zum Ausschlusskriterium. Der interessierte und fähige Bewerber ohne Anstellung wird gleich zweifaches Opfer der Arbeitsamt-Strategie.

Wenn man unbedingt sparen will, statt sinnvoll zu investieren, sollte man damit nicht bei den Taggeldern, sondern bei den unzähligen sinnlosen, aber vorgeschriebenen Kursen beginnen. Kurse, die heute jeder Arbeitslose nach einer gewissen Zeit besuchen muss. So wird zum Beispiel jeder – selbst der ausgebildete Personalberater – nach wenigen Monaten automatisch und obligatorisch zu mehrwöchigen Bewerbungstrainingskursen geschickt. Wo er lernen soll, wie man sich richtig bewirbt. Oder ein mir bekannter Schweisser nach 30 Jahren Berufserfahrung in einen Schweisskurs geschickt, um ein spezielles Schweisser-Zertifikat zu erwerben. Kurz vor der Pensionierung.

Natürlich verspricht der Rasenmäher über den Köpfen der Arbeitslosen auf den ersten Blick grössere Einsparungen. Aber die Konsequenzen werden – und tun es, wie gerade geschildert schon heute – das Gegenteil bewirken.

Thema: Gesellschaft, Mensch, Politik | Kommentare (0) | Autor:

Die Verhüllung und die Zivilisation

Mittwoch, 5. Mai 2010 20:46

Es hat zwar etwas länger gedauert, als gedacht, aber nun ist sie da: Die Burka-Diskussion. Und wie vermutet, liegen die Begründungen für ein Verbot wieder irgendwo zwischen den Extremen «Schutz unterdrückter Frauen» und – schon nach zwei Tagen Palaver wieder gehört – «Wäre alles kein Problem, wenn eine Burka nicht ein Zeichen der schleichenden Islamisierung wäre.»

Ich möchte mich hier losgelöst von der religiösen Frage auf zwei der zahlreichen kulturell zu beantwortenden Fragen beschränken. Fragen, die seit Jahren die Islam-Diskussion erhitzen, ohne eine sachliche Antwort zuzulassen.

«Warum wollen die sich nicht anpassen?» und «Weshalb sollten wir die Verhüllung bei uns akzeptieren, wenn wir uns in islamischen Ländern anpassen müssen?»

Ich weiss, dass viele Schweizer sich nicht mit fremden Kulturen und deren Befindlichkeiten auseinandersetzen wollen. Schliesslich sind ja nicht wir die Fremden. Deshalb präsentiere ich hier ein kleines Gedankenspiel, welches sich an unserer heimischen, christlich geprägten Vorstellung von Sittlichkeit orientiert.

Stellen wir uns also folgendes vor

Wir leben in einem Kulturkreis mit der uns bekannten Kleiderordnung. Nennen wir uns daher der Einfachheit halber «Kleiderländer». In einer anderen Ecke unseres Planeten lebt ein Volk von Nudisten. Nennen wir diese «Nacktländer». Was passiert, wenn diese beiden Völker aufeinandertreffen?

Begeben wir «Kleiderländer» uns zu den «Nacktländern», werden diese wohl von uns verlangen, uns unserer Kleider zu entledigen. Unsere Erziehung und Schamgefühl lassen dies aber nicht so ohne weiteres zu. Zu tief hat uns unsere christliche Kultur geprägt. Vielleicht wären wir bereit, uns maximal bis auf eine Badehose oder einen Bikini auszuziehen. Das wäre aus unserer «Kleiderländer»-Sicht nur zu verständlich. Diese Weigerung hätte kaum einen religiösen Hintergrund. Geschweige denn, dass wir das fremde Land dadurch «Kleidungisieren» wollten. Es ist einfach unsere Kultur. Unsere Erziehung.

Und wie würde es im umgekehrten Fall aussehen? Stellen wir uns vor, die «Nacktländer» würden ganz selbstverständlich hüllenlos durch unsere Städte und Einkaufszentren spazieren. Wie schnell wäre wohl die Polizei da? Erregung öffentlichen Ärgernisses. Sofort anziehen oder mitkommen. Nicht weil wir die andersartigen «Nacktländer» hassten. Einfach nur, weil unser kulturelles Selbstverständnis das Nacktsein in der Öffentlichkeit verbietet. Schliesslich gehört sich das bei uns einfach nicht.

Ich glaube, dieses Beispiel kann man problemlos in die reale Welt übertragen. Um eine zusätzliche Kleiderschicht verschoben, werden aus «Nacktländern», «Kleiderländer» – also wir – und aus den «Kleiderländern» werden «Kopftuchländer». Oder anders gesagt, Menschen Islamischer Herkunft.

Wenn wir das Verschleierungs-Thema erst einmal aus dieser Sicht betrachten, können wir vielleicht auch wieder sachlich diskutieren. Und mit den religiösen Aspekten von Burka, Niqab, Hijab etc befassen wir uns dann gesondert.

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Thema: Gesellschaft, Mensch, Politik, Schweiz | Kommentare (0) | Autor:

Pffffffft vor Passivrauchen

Dienstag, 27. April 2010 19:43

Ab 1. Mai 2010 ist es nun also so weit. Im Kanton Zürich ist das Rauchen in Kneipen nur noch in abgetrennten Fumoirs möglich. Supi. Aber das war ja wieder mal ein Kampf, oder? Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Millionen die Kampagne zum «Schutz vor Passivrauchen» insgesamt gekostet hat.

Pffffffft vor PassivrauchenZumal das Problem Raucher deutlich günstiger und mit weniger bösem Blut hätte erledigt werden können. Vor einigen Jahren kostete die ultimative Lösung sage und schreibe günstige 19 Franken 50. Wie das Schild vor einer Apotheke in Zürich zeigt. Ein Anti-Raucher-Spray. Praktisch. Einfach Pffffffft und weg ist das Problem. Und das Ganze sogar noch auf grün unterstrichene, natürliche Art.

Vielleicht sollte man die Apotheke um eine Neuauflage des Sprays bitten. Jetzt wo gerade eine konsequente und landesweit einheitliche Regelung zum Schutz vor Passivrauchen angestrebt wird.

Damit wir von diesem Blog auch noch etwas lernen, einige Zahlen: Allein in den Jahren 2002 bis 2006 gab das Bundesamt für Gesundheit 15.9 Mio Franken für die Tabakprävention aus. Quelle: BAG (pdf, Seite 35)

Nicht gerade ein Pappenstiel. Aber wenn Sie jetzt gerade so etwas ähnliches denken wie «Und wer musste wieder einmal diese immensen Kosten für die uneinsichtigen Raucher stemmen?» – hier gleich die Antwort: Die Raucher selber. Der Tabakpräventionsfonds wird durch eine Abgabe von 2.6 Rappen pro verkaufte Zigarettenpackung finanziert. Gleich viel übrigens, wie die Förderung des einheimischen Tabakanbaus. (Hier fasst sich an den Kopf, wer einen hat.) Nicht genug Info für heute? Beim BAG gibt es noch genaueres zur Prävention und zur Förderung zu lesen.

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Von der Neiddebatte zur Hirnforschung

Montag, 26. April 2010 21:00

Tagesanzeiger, 26. April 2010.

Wenn in einer Schlagzeile «Mehr Demokratie in der Wirtschaft» steht und Dinge wie «Neidgesellschaft» in der Einleitung, muss ich das unbedingt lesen. Das könnte interessant werden. Satz mit X: War wohl nix.

Schon der erste Satz des Beitrages von Simone Meier zeigt, dass auch die schreibende offenbar einer weit verbreiteten Fehleinschätzung unterliegt.

«Wir wundern uns alle über das Geld, das so dreist in den Manager-Etagen der Grossbanken verlocht wird, und sind neidisch und hätten für unsere harte Büez auch gerne mehr.»

Nein Frau Meier. Wir wundern uns nicht alle. Und wir sind auch nicht alle neidisch.

Aber egal. Dieser kurze Einstieg soll hier nur exemplarisch aufzeigen, woran viele Diskusionen scheitern. Und warum man viele Politiker, Manager oder Gläubige mit Argumenten in ihrer eigenen Wertewelt nicht erreicht: Sie betrachten ihre Umwelt ausschliesslich aus der eigenen Warte.

Wer Neid zu seiner natürlichen Gefühlswelt zählt, sieht nur Neider um sich herum. Der Egoist nur andere Egoisten. Vielleicht in verschiedenen Abstufungen. Aber letzten Endes eben doch Neider und Egoisten. Unvorstellbar, dass jemand anders ticken könnte. Und auch unerklärbar. (Ich habe es oft genug versucht.) Es gibt offensichtlich individuelle, aber unverhandelbare Ansichten.

Woher kommen diese unverrückbaren Überzeugungen? Liegt es an der Erziehung? Oder an den gemachten Erfahrungen? Zum Teil bestimmt auch daran. Aber ich denke, viele unserer stärksten Glaubenssätze hängen sehr direkt mit Funktionen, beziehungsweise Fehlfunktionen unseres Gehirns zusammen. Ein geradezu körperliches Gefühl des Wissens, ohne darüber nachdenken zu müssen. Deshalb sind sie so tief in uns verankert und so schwer zu entkräften.

Einen Hinweis darauf liefern auch die aktuellen Neurowissenschaften. Man weiss zum Beispiel dank Forschern wie Vilayanur Ramachandran, dass die Stimulation des Schläfenlappens zu starken religiösen oder spirituellen Gefühlen führen und Schläfenlappen-Epilepsie sogar spontan extreme religiöse Erfahrungen auslösen kann. Und wenn ich mich richtig erinnere, auch Allmachtsphantasien. Bestimmt kennt jeder jemanden, der davon betroffen sein könnte.

Mir fallen dazu die Gebrüder Blocher ein. Der eine reklamiert für sich politisches und wirtschaftliches Allwissen. Der andere wähnt sich der göttlichen Weisheit sicher. Bitte nicht falsch verstehen. Ich werte hier nicht und weiss nichts über die Gesundheit der beiden. Doch vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang. Und ich würde es gerne erfahren. Schliesslich hat das auch mit meinem Leben zu tun.

Oder man denke an Investmentbanker. Wäre es möglich, dass deren Verhaltensweisen mit der Beschaffenheit gewisser Hirnareale zu erklären sind? Neurowissenschaftler haben ein relativ neues Forschungsobjekt für sich entdeckt. Die Spiegelneuronen. Diese seit 1995 bekannten Zellen könnten der Schlüssel für das Verständnis von Empathie sein. Sie ermöglichen die Simulation des emotionalen Zustandes des Gegenübers und erlauben es, sich in diesen hineinzuversetzen. Ein Werkzeug für Mitgefühl, Zusammengehörigkeit und Verantwortungsbewusstsein.

Glaubt man verschiedenen Insiderberichten und Büchern, sind viele Investmentbanker ziemlich einsam. Nicht bindungsfähig und auch ausserhalb der Berufes immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Ob zu schwach feuernde Spiegelzellen egoistisches Verhalten verursachen könnten? Eine Erklärung wärs.

Zu gern würde ich erforschen, in wie weit unser Gehirn die Gesellschaft formt. Ob es ein SVP-Setup gibt. Oder eine Rote Socken-Voreinstellung. Und ich hoffe, dass es dazu mal eine grössere Studie mit öffentlichen Personen gibt. Das würde die vielen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zwar nicht besser, aber vielleicht doch verständlicher machen.

Wer etwas mehr über Hirnforschung erfahren möchte, findet unzählige spannende Bücher. Zumal sich durch die Forschung immer mehr Berührungspunkte zur Psychologie und Philosophie ergeben. Deshalb möchte ich hier statt Buchtipps einfach einige interessante Autoren erwähnen.

Paul Broks, klinischer Neuropsychologe, Plymouth/Birmingham
Marco Iacoboni, Prof. für Neuropsychiatrie, Los Angeles
Hans J. Markowitsch, Prof. für Physiologische Psychologie, Bielefeld
Thomas Metzinger, Philosoph und Leiter Neuroethik, Frankfurt
Oliver Sacks, praktizierender Neuropsychologe, New York
Vilayanur S. Ramachandran, Neurowissenschaftler, San Diego

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Thema: Bildungslücken, Buchtipps, Gesellschaft | Kommentare (0) | Autor: