Das Recht (auf das Recht) auf ein Minarett

Dank der Libyen-Affäre und dem armseligen Hickhack in Bundesbern hatten wir für eine Weile wohltuende Ruhe vor der Minarett-Debatte. Doch seit vorgestern Mittwoch ist es auch schon wieder vorbei mit dem religiösen Frieden.

Strassburg, die Demokratie und der Glaube

Seit der Europarat in Strassburg die Schweiz auffordert, das Bauverbot für Minarette aufzuheben, ist in Helvetistan von neuem die christlich-direktdemokratische Hölle los. Kaum ausgesprochen, melden sich einige überpatriotische Schweizer polternd zu Wort. Und werfen munter alles, was irgendwie nach undemokratischem Europa und diktatorischer EU klingt in einen grossen, blubbernden Topf.

Respekt an dieser Stelle übrigens für Daniel Caduff unbekannterweise, der im 20Minuten-Forum alles gibt, Sinn, Zweck und Möglichkeiten des Europarates zu erklären.

Neben dem EU-Bashing, ist in verschiedenen Foren aber vor allem wieder die Religion und ihre Symbole das beherrschende Thema, das neu aufgerollt werden will. Beziehungsweise, wie das Fondue von gestern, aufgewärmt. Man streitet zäh über den fremden Glauben und argumentiert «Wir haben demokratisch abgestimmt, basta» mit der eigenen direkten Demokratie. Zwei Wertesysteme, die sich übrigens ähnlicher sind, als man auf den ersten Blick denken würde.

Man braucht kein Minarett für den Glauben

Tatsächlich haben das religiöse und das gesellschaftliche Selbstverständnis bei näherer Betrachtung einige Gemeinsamkeiten. Eines davon liegt in der reinen Kraft der Symbolik eines unbedingten Rechtes.

Viele Minarettgegner begründen Ihr Stimmverhalten damit, dass selbst viele Muslime nicht unbedingt auf den Bau eines Minaretts bestehen. Und sie fragen: «Wenn die meisten sowieso kein Minarett bauen wollen, warum sollten wir es dann nicht verbieten dürfen?». Man könnte natürlich genauso gut die Gegenfrage stellen: «Wie viel Sinn hat ein Verbot, wenn die Mehrheit sowieso nicht bauen will?». Wie auch immer die Frage formuliert wird, die Schlussfolgerung, dass ein Verbot aus genanntem Grund nichts schadet, ist einmal mehr zu wenig weit gedacht.

Zwischen dem Recht auf Ausübung und der Ausübung dieses Rechtes gibt es einen wichtigen Unterschied.

Fragt man Muslime, finden diese das Fehlen eines Minaretts tatsächlich meist weniger schlimm, als es in einigen Medien dargestellt wird. Wäre dem nicht so, hätten wir schon vor der Abstimmung hunderte dieser Türmchen in unserem Land stehen gehabt. Das heisst aber nicht, dass sie damit auch freiwillig auf das Recht für den Bau eines Minaretts verzichten wollen.

Ein Widerspruch? Im Gegenteil.

Man braucht keine Volksinitiative für eine direkte Demokratie

Wagen wir doch einmal einen kurzen, vergleichenden Blick auf unser demokratisches Selbstverständnis. Was macht für uns eine richtige Demokratie aus? Was unterscheidet diese von den anderen rund um uns herum? Und warum erscheint sie uns so überlegen und schützenswert?

Was für eine Frage, werden Sie sagen. Zunächst einmal sind wir freie, mündige Bürger. Wir entscheiden, was in unserem Land zu geschehen hat und was nicht. Wir bestimmen dank Wahl- und Stimmrecht den Weg unseres Landes. Jeder einzelne mit seiner Stimme. Ausserdem können wir selber eine Veränderung anstossen, indem wir eine Volksinitiative starten. Das kann sonst keiner. Wir haben die beste, weil direkte Demokratie. Das unterscheidet uns von anderen demokratischen Staaten.

Eine kurze Zwischenfrage: «Werden Sie denn auch jemals selber eine Volksinitiative lancieren? Nein? Dann stimmen Sie mir sicher zu, dass man diese ohne weiteres abschaffen könnte, wenn die Mehrheit sowieso…» Auch nein? Hhhmmm.

Die meisten von uns werden ihr ganzes Leben lang keine eigene Volksinitiative lancieren. Trotzdem gehört für uns das Recht darauf untrennbar zu unserer Vorstellung der besten aller besten Staatsformen. Allein die Möglichkeit aktiv mitzuwirken gibt uns das Gefühl, ein Teil des Ganzen zu sein. Würde man uns dieses Recht nehmen, wäre unsere Demokratie nicht mehr das, was sie ausmacht. Wir würden bei einem drohenden Verbot oder der Abschaffung zu Recht auf die Barrikaden steigen.

Ein glücklicher Mensch…

Wir sind nicht bereit, freiwillig auf unser – für die meisten rein symbolisches – Recht auf eine Volksinitiative zu verzichten. Genau so, wie ein Muslim nicht auf sein – für die meisten rein symbolisches – Recht auf ein Minarett verzichten möchte.

Geben wir doch den Gläubigen das symbolische, da theoretische, Recht auf ihr Minarett zurück. Und das praktische und konkrete überlassen wir im Einzelfall wie früher wieder den betroffenen Gemeinden. Hat doch bisher gut geklappt und allen war damit gedient. Inklusive dem religiösen Frieden in unserem kleinen Land. Denn ein ein zufriedener Mensch ist ein glücklicher Mensch ist ein friedlicher Mensch.

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Autor:
Datum: Freitag, 25. Juni 2010 9:58
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